L. Vortrag auf dem Medienpolitischen Workshop, veranstaltet vom DGB-Bezirk Nord für gewerkschaftliche Gremienmitglieder beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und bei den Landesmedienanstalten am 31.3.2004 in Hamburg: Aufsichtsgremien in den Landesmedienanstalten: Energische Regulierer oder nur Ja-Sager?

Inhaltsübersicht

I. Verfassungsrechtliche Grundsätze:
Die Rundfunkfreiheit als „dienende Freiheit“

1. Rundfunk als „Medium und Faktor“ öffentlicher Kommunikation
2. Qualitätssicherung durch Programmautonomie
3. Unabhängiger Journalismus als motorische Kraft,
die Bürgergesellschaft als Wächterinstanz

II. Rundfunkfreiheit als Rundfunkunternehmerfreiheit:
Programmqualität ade?

1. Die simple kommerzielle Alternative
2. Marktsteuerung als neues Dogma
3. Die leidige Konvergenzfrage

III. Duale Unordnung: Die Rolle der Landesmedienanstalten

1. Der „Urknall“ und was darauf folgte
2. Privatrundfunkrecht und Privatrundfunkaufsicht:
Einige Schwierigkeiten mit den Marktkräften
3. Von der Medien- zur Standortpolitik,
am Beispiel Nordrhein-Westfalens

IV. Reformperspektiven

1. Was ist zu tun?
2. Schlechte Aussichten?
3. Zur Rolle der Gewerkschaften



 

I. Verfassungsrechtliche Grundsätze:
Die Rundfunkfreiheit als „dienende Freiheit“

1. Rundfunk als „Medium und Faktor“ öffentlicher Kommunikation

Die Freiheit des Rundfunks dient nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Freie Meinungsbildung vollzieht sich hiernach in einem Prozeß der Kommunikation, der darin besteht, daß Meinungen frei geäußert, zur Kenntnis genommen und von den jeweiligen Zuhörern und Zuschauern als Material und Impuls für die eigene Meinungsbildung (und gegebenenfalls nachfolgende -äußerung) genutzt werden. Indem Meinungs- und Informationsfreiheit als Jedermannsrechte betätigt werden und im Rahmen öffentlicher Dispute – auch mit wechselnden Rollen, bei offenem Zugang – ineinandergreifen, entsteht der Idee nach jenes öffentliche Kontinuum, das freie Meinungsbildung möglich macht. Dieser Kommunikationsprozeß wird vom Grundgesetz in der Karlsruher Auslegung geschützt.

Er kommt allerdings, wie das Bundesverfassungsgericht betont, unter den Bedingungen der modernen Massenkommunikation nicht mehr wie von selbst in größerem Maßstab zustande, sondern er bedarf jetzt der massenmedialen Vermittlung. Er bedarf insbesondere des Rundfunks als seines „Mediums und Faktors“. Der Rundfunk soll dabei „frei, umfassend und wahrheitsgemäß“ informieren. Er soll aus dem jeweils vorfindlichen, unter Umständen lauten und unschönen Konzert der vielen Stimmen, inklusive Mitteilungen über Fakten, ein qualifiziertes „Gesamtprogramm“ machen. Die Rundfunkfreiheit stellt hiernach „eine notwendige Ergänzung und Verstärkung“ der Meinungsbildungfreiheit dar und dient der Aufgabe, „freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten“.

Verfassungsrechtlich geschützt ist demnach zweierlei: einmal der gedachte breite und intensive öffentliche Kommunikationsprozeß als solcher, zum andern die entsprechende eigenständige „Vermittlungsfunktion“ des Rundfunks als unerläßliche Voraussetzung dieses Kommunikationsprozesses. So gesehen stellt sich die Rundfunkfreiheit nicht als Jedermanns-, sondern als Funktionsgrundrecht dar. In diesem Sinn wird sie in der Karlsruher Rechtsprechung als „dienende Freiheit“ bezeichnet.

2. Qualitätssicherung durch Programmautonomie

Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hat man es hiernach eben nicht mit einem Grundrecht zu tun, das seinem Träger zum bloßen Propagieren eigener Meinungen gegeben ist, und auch nicht zu bloßen Erwerbszwecken. Vielmehr ist Inhalt der Verfassungsgarantie hiernach eine fremdnützige und dabei relativ autonome publizistische Vermittlungstätigkeit. Die Garantie besagt, daß Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an „publizistischen Kriterien“ im Sinne der qualifizierten Vermittlungsfunktion ausrichten sollen. Dies schließt auf dem öffentlichen Sektor einen entsprechenden materialen Vielfaltbegriff ein, wie er für das herkömmliche sog. binnenplurale Vielfaltkonzept charakteristisch und unverzichtbar ist – im Unterschied zu formalen, nur zahlenmäßig fixierten außenpluralen Vielfaltkalkülen.

Vielfaltsicherung heißt danach soviel wie Qualitätssicherung überhaupt, hier verstanden als Sicherung von „Meinungs-”Bildungsfreiheit in einem weiter zu fassenden, nicht nur auf explizit politische Meinungen bezogenen Sinn. Das empfindliche Schutzgut sollte vielmehr als medienspezifische Variante allgemeiner Bildungs- und Kulturfreiheit erkannt und gehandhabt werden, d.h. der Rundfunk sollte sich auch als Bildungseinrichtung und Kulturträger sehen und betätigen, wobei der Kulturbegriff weit zu verstehen ist, einschließlich tieferliegender politischer und sozialer Dimensionen. Zu gewährleisten ist die dafür erforderliche Programmqualität, und zwar gerade auch im Bereich fiktionaler und nonfiktionaler Unterhaltung.

Mitzudenken ist dabei immer auch eine interpretierende und vergleichende, analytisch-kritische journalistische Komponente, die das jeweilige Spektrum für die eigene Urteilsbildung und Positionsfindung der Zuhörer und Zuschauer erschließt. Negativ ausgedrückt, sollen Rundfunkprogramme „frei von staatlicher Lenkung, aber ebenso von privater Indienstnahme“ sein. Die geschützte „Programmautonomie“ richtet sich gegen jede „Instrumentalisierung“ des Rundfunks für „außerpublizistische Zwecke“. Und „es ist der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Zwecke bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt“. Jede heteronome Inpflichtnahme soll ausgeschlossen werden. Eine derartige Rundumfreiheit gilt aus Gründen der Qualitätsvorsorge als notwendig.

3. Unabhängiger Journalismus als motorische Kraft, die Bürgergesellschaft als Wächterinstanz

Gegenstand professioneller Vermittlung ist hiernach eine Medienöffentlichkeit, welche als Voraussetzung für Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) und kommunikativ-soziale „Integration“ im großen Publikum angesehen wird. Sie hat auch etwas mit dem allgemeinen politischen Demokratieprinzip (Art. 20 und 28 GG) zu tun. Man denkt dabei gern an das Wunschbild diskursiver Öffentlichkeit nach Habermas (Faktizität und Geltung, 1992). Die vermittelnde, öffentlichkeitsgenerierende Funktion von unabhängigem Journalismus wird jetzt auch von Habermas als grundsätzlich möglich und wünschenswert veranschlagt. Zugleich richtet er den Blick auf die zivilgesellschaftlichen Voraussetzungen und Infrastrukturen solcher Medienfunktionen und fordert ein entsprechendes bürgerschaftliches Engagement: Grundrechtliche Garantien allein könnten Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft vor Deformation nicht bewahren. Die Kommunikationsstrukturen der Öffentlichkeit müßten von einer vitalen Bürgergesellschaft intakt gehalten werden.

Letztlich ist es der in den Funkhäusern verkörperte journalistische Professionalismus, der dabei im Mittelpunkt steht. Die Journalisten sind hiernach mit der Herstellung und fortdauernden Regeneration einer publizistisch-öffentlichen Sphäre befaßt, und sie handeln dabei in einem öffentlichen Interesse, das man als gesellschaftlich-öffentlich zu bezeichnen pflegt. So ist es denn der Idee nach die Gesellschaft selbst in ihrer Eigenschaft als wohlinformiertes und aufgeklärtes Publikum, die Vorkehrungen dafür getroffen hat, daß diese öffentliche Aufgabe durch geeignete Vermittlungseinrichtungen wahrgenommen werden kann. Und sie ist es auch, die nun über die angemessene Erfüllung dieser Aufgabe wacht und die dafür nötige Selbstständigkeit und Professionalität garantiert.

Der Staat soll mit seinen normativen Mitteln auf die Herausbildung des nötigen rundfunkspezifischen Regulierungs- bzw. Selbstregulierungsvermögens hinwirken. Er trägt eine sog. Gewährleistungsverantwortung dafür, daß eine funktionsgerechte Selbststeuerung des Rundfunks tatsächlich in Gang kommt und fortdauert. Der Staat soll auch für entsprechende breite und intensive gesellschaftliche Rückkoppelungen sorgen. Er soll darum einerseits auf Entstehung und Weiterentwicklung des erforderlichen publizistisch-professionellen Potentials hinarbeiten, andererseits soll er sich um eine funktionsadäquate gesellschaftliche Kontrolle bemühen.

Unter letzterer versteht die Judikatur, was den öffentlichen Sektor betrifft, eine dauerhaft vorhandene, in die jeweilige Anstalt integrierte gesellschaftlich-öffentliche Legitimierungs-, Supervisions-, Garantieinstanz als gruppenplurales, für Programmangelegenheiten zuständiges Grundorgan (Rundfunkrat/Fernsehrat), kombiniert mit einem meist aus Experten zusammengesetzten engeren, für Angelegenheiten der Geschäftsleitung zuständigen Kollegialorgan (Verwaltungsrat). Die kollegialen Gremien stehen dem Intendanten als Leitungsorgan gegenüber. Sie sollen darüber wachen, daß der journalistisch eigenverantwortliche, nach dem sog. Intendantenprinzip organisierte professionelle Stab die Public-Service-Aufgaben des Rundfunks angemessen erfüllt, kurz gesagt: daß er seinen publizistischen Beitrag dafür leistet, daß Bürgergesellschaft und Demokratie hierzulande auch in Zukunft bestehen bleiben und weiter florieren.

II. Rundfunkfreiheit als Rundfunkunternehmerfreiheit:
Programmqualität ade?

1. Die simple kommerzielle Alternative

Professionell forcieren läßt sich auch unfreie Meinungsbildung, wie sie in den marktstrukturellen Prämissen der traditionellen presserechtlichen Denkschule gewohnheitsmäßig – jetzt auch mit Wirkung für kommerzielle elektronische Medien – angelegt ist; das wird von jener Seite auch heute noch ganz unverhohlen verfochten und praktisch betrieben. Das Tendenzblatt bzw. der Tendenzsender bildet danach die Publikumsmeinung nach seinem Belieben, etwa als Abklatsch der Meinung des Verlegers/Veranstalters. Dabei kann es sich um irgendwelche subjektiven politischen Präferenzen von Medieneigentümern oder hinter ihnen stehenden einflußreichen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Kräften handeln.

Dazu ein Beispiel aus dem vorigen Jahr: „Schröders Eheleben unter öffentlicher Mutmaßung“ (nach dem Bericht von Volker Lilienthal, epd medien 3/2003). Das war eine besonders üble, die voyeuristische Neugier des Publikums anstachelnde Kampagne britischer und deutscher Massenblätter, die in medienkritischer Analyse in der Hauptsache auf ökonomische Determinanten zurückgeführt worden ist: auf enge Marktverhältnisse in der allgemeinen konjunkturellen und werbewirtschaftlichen Krise, auf ungünstige Umstände nach dem Zusammenbruch der Kirch-Gruppe, dem Niedergang der New Economy usw. Dies war geradezu ein Lehrstück in Sachen „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ bei sich verschärfender Konkurrenz.

Derartige Kampagnen sind allerdings im Zeichen des außenpluralen Marktmodells nichts Ungewöhnliches und Systemfremdes. Vielmehr ist jenes Konkurrenzmodell darauf sozusagen von Natur aus angelegt und wohl auch zunehmend angewiesen. Es handelt sich um systemimmanente, letztlich wirtschaftlich bedingte publizistische Eigentümlichkeiten, wie sie auf dem Boden jenes einfachen Modells immer latent vorhanden sein werden. In Krisenlagen können sie sich dann als besonders auffälliges, geradezu peinliches Qualitätshemmnis offenbaren. Das Risiko von Fehlentwicklungen steigt dann schnell an. Auch offene politisch-parteiliche Agitation und Meinungsmache kann in Organen wie „Bild“ gleichsam über Nacht anschwellen. Dafür gibt es momentan wieder manche Belege, etwa was den früheren „Medienkanzler Gerhard Schröder“ (Hans-Jürgen Jakobs, SZ Nr. 55 vom 6.3.2004) betrifft.

Professionell-kommerziell betätigen läßt sich im übrigen auch ein scheinbar gänzlich „meinungsloses“ und unpolitisches, rein erwerbswirtschaftlich motiviertes Streben nach Aufmerksamkeit, Quote und Markterfolg per Infotainment, Emotainment, Konfrotainment usw., wie es in privaten Rundfunkprogrammen vorwaltet. Man denke nur an die für die neunziger Jahre charakteristischen ungezählten Daily Talks, schließlich als Sex- und Krawall-Shows, in denen sich eine „entfesselte Unterschicht ...zauste und zankte“ (Barbara Sichtermann, epd medien 85/2002). Auch „Big Brother“, eine in Deutschland von RTL II wiederholt auf den Markt gebrachte und soeben – mit ein paar zusätzlichen miserablen Gags – wieder neu gestartete Trash-Serie, wird von Leuten gemacht, die auf diesem Gebiet Profis sind. Entsprechendes gilt für ähnliche „Real Life-”Serien wie „Gynä-Show“, „Gerichts-Show“, „Quäl-Quiz“, „Dschungel-Camp“. In den USA wurde auch schon über (zugunsten der Erben des Verurteilten entgeltliche) „Hinrichtung live“ diskutiert. Das wäre dann „Real Death“ – ein letztes großes Tabu, das an jener Stelle bisher wohl noch standgehalten hat. Aus der Sicht des Managements und der Macher sind die Grenzen allerdings im Fluß. Nekrophile Events, Kannibalismus u.ä. haben schon viel von sich reden gemacht. Auch auf Gewaltmaßnahmen und Kriegsgreuel im Irak hat es kürzlich voyeuristische Neugier gegeben: „Real War“ als Affektfernsehen – und wir haben da wohl noch einiges weitere vor uns. Die nächsten „Schocker-Formate“ sind bereits angekündigt.

2. Marktsteuerung als neues Dogma

In derartigen vielbeachteten Neuerungen kommt ein Defizitproblem zum Vorschein, wie es – meist weniger auffällig – auch in erheblichen Teilen des sonstigen privaten Programmangebots zu bemerken ist. Zwar erreichen derzeit auch harmlose Ratespiele und Gesangswettbewerbe hohe Einschaltquoten – aber wie lange noch? Wie, wenn sich dies verbraucht hat und wenn die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ überall schärfere Reize verlangt? Wir sind jedenfalls gut beraten, etwas grundsätzlicher an die Dinge heranzugehen und auch auf die Grenzfälle und Exzesse zu achten. Und dann zeigt sich: Das entscheidende Manko ist (nicht nur bei den Trash-Produkten) das pseudo-journalistische abgeflachte Selbst- und Funktionsverständnis, das sich auf der Macherseite ausdrückt, mit entsprechenden Folgen für die Publikumsseite.

Denn diese Spielart von Professionalität hat mit dem eben über Medienfreiheit als „dienende Freiheit“ Gesagten nichts mehr zu tun. Solche flotten Gesellen pflegen kurzerhand auf die Publikumsnachfrage zu verweisen. Der Frage nach ihrem eigenen Beitrag zur Herausbildung eines derartigen Massengeschmacks und nach ihrer diesbezüglichen Verantwortung weichen sie gern aus, indem sie eine simple bedürfnispositivistische Attitüde annehmen: Der Markt verlange es nun einmal so. Normative Qualitäts- und Kriterienfragen suchen sie als von vornherein unerlaubt abzutun. Auf Achselzucken und Unverständnis kann in jenem Business-Milieu stoßen, wer noch an die rundfunkrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erinnern und über deren Bedeutung für solche postmodernen Unterhaltungsformate reden will. Man läßt da nichts anderes als Marktgesetze gelten. Von Marktversagen will man nichts wissen. Über das eigene Massenpublikum und dessen kommunikatives Wohlergehen macht man sich weiter keine Gedanken, faktisch indessen beeinflußt man es entgegen der normativen Aufgabe: Man betreibt dessen Verdummung und sukzessive Entmündigung.

3. Die leidige Konvergenzfrage

Daß wir uns heute über solche fragwürdigen Programmangebote den Kopf zerbrechen, beruht zumal darauf, daß sie mit Voll- sowie Spartenprogrammen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkurrieren, dabei ein ganz anderes Funktionsverständnis praktizieren und gleichwohl oder gerade darum marktmäßig erfolgreich sind. Die Veranstalter, insbesondere deren publizistisch-professionelle Grundsätze und Ressourcen, sind zwar hier und dort nicht von gleicher Art, ganz im Gegenteil: Die Unterschiede von Öffentlich und Privat sind von Rechts wegen groß. Sie scheinen sich aber in der Praxis da und dort bereits zu verringern – „Konvergenz“ als beliebtes Tagungsthema läßt grüßen.

Denn das Publikum ist hier wie dort der Idee nach dasselbe! ARD/ZDF wollen und dürfen sich ja nicht auf engere Info-Eliten, gehobene bildungsbürgerliche Kreise, Kenner und Liebhaber künstlerischer Hochkultur beschränken und die sog. Populärkultur den Privaten überlassen. Vielmehr sind sie auch für Rezipienten von RTL II usw. und für deren programmliches Wohl und Wehe verantwortlich, jedenfalls im Sinn einer Mitverantwortung nach Maßgabe des geltenden Rechts. Und wenn das Publikum auf dem privaten Sektor einer zunehmenden mentalen Verödung und inneren Pauperisierung ausgesetzt wird, wirkt sich das indirekt auch auf den öffentlichen Sektor aus. Auch selbstbewußte und starke Anstalten wie NDR und WDR können dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die ökonomisch-publizistische Konkurrenz unter Ungleichen hat zur Folge, daß der öffentliche Sektor einem stetigen Anpassungsdruck ausgesetzt ist. Dieser Druck kann Abflachungen und Verarmungen hervorrufen, wie sie von Kritikern mit dem Slogan „schleichende Selbstkommerzialisierung“ belegt werden. Dergleichen kann grundsätzlich das gesamte Programmangebot betreffen und sich qualitäts-, zumal vielfaltmindernd auswirken, einschließlich der gegenständlichen Vielfalt. Aktuell ins Gerede gekommen sind vor allem die jetzigen öffentlich-rechtlichen TV-Hauptprogramme, denen von Kritikern substantielle Schwächungen und Entleerungen zugunsten der Spartenprogramme vorgehalten werden. Die WDR-Redakteursversammlung beispielsweise hat sich in einer kürzlich veröffentlichten bemerkenswerten Entschließung gegen eine „Verflachung und Banalisierung“ des ARD-Fernsehprogramms gewandt (Funk-Korrespondenz 8-9/2004). An die Wand gemalt wird dann eine Umbildung und Verkleinerung des öffentlichen Sektors dahingehend, daß er sich mit seinen versparteten Qualitätsprogrammen über kurz oder lang in gewisse Kulturnischen zurückziehen müßte. Die populär-unterhaltenden, quotenträchtigen Massenprogramme hingegen würden der Sache und schließlich auch der Form nach privatisiert und vollständig kommerzialisiert werden. Das wäre dann der finale programmliche und Publikums-Dualismus, kurz gesagt: kleine Medien-Eliten und viele Medien-Prolos. Und wie lange würde es dann noch die Gebührenfinanzierung geben?

III. Duale Unordnung: Die Rolle der Landesmedienanstalten

1. Der „Urknall“ und was darauf folgte

Über Verantwortung des Rundfunks für die Gesellschaft und Verantwortung der Gesellschaft für den Rundfunk wird genauer nachgedacht und gegrübelt erst seit den frühen achtziger Jahren, nämlich seit dem Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols. Damals kam der Marktrundfunk hierzulande auf. Der privat-kommerzielle Sektor wurde dem öffentlichen Sektor hinzugefügt. Dieses zweiteilige rechtliche Arrangement wurde vom Gesetzgeber hoffnungsfroh als „duales Rundfunksystem“ bezeichnet, und es wird auch gern „duale Ordnung“ genannt und als solche gelobt und gefeiert, so in diesen Wochen wieder aus Anlaß des zwanzigsten Gedenktags des Ludwigshafener „Urknalls“. „Das Fernsehen ist menschlicher geworden“, so der RTL-Gründer Helmut Thoma (SZ Nr. 37 vom 14.2.2004). Nach Bernhard Vogel, seinerzeit als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident Promoter und Ziehvater der Ludwigshafener Anstalt für Kabelkommunikation (AKK), ist es mit dem damaligen „Aufbrechen“ des Monopols der öffentlich-rechtlichen Sender gelungen, „Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt durchzusetzen“ (epd medien 16/2004). Norbert Schneider, in der Medienaufsicht heute zuständig für Fragen der Programmqualität, schreibt dem kommerziellen Sektor einen „vitalisierenden Einfluß“ auf den öffentlichen Sektor zu (epd medien 4/2004). Wer auf solche onkelhaften Betrachtungen nicht hereinfällt, wird jedoch zu einem ganz anderen Befund gelangen: Tatsächlich hat sich bei uns eine „duale Unordnung“ und gravierende Schieflage von Öffentlich und Privat herausgebildet. Das gilt auch in institutioneller Hinsicht.

2. Privatrundfunkrecht und Privatrundfunkaufsicht: Einige Schwierigkeiten mit den Marktkräften

Nach dem Vorbild der AKK entstanden in den 1980er Jahren in Westdeutschland überall die Landesmedienanstalten als neuartige Förderungs- und Aufsichtseinrichtungen. Sie sind auf den Rundfunkstaatsvertrag und das ihn rezipierende jeweilige Landesrecht gegründet. Die Dynamiken der neu eröffneten Medienmärkte konnten von den Medienanstalten allerdings nicht in der Weise beeinflußt und unter Kontrolle gebracht werden, wie es vom Bundesverfassungsgericht 1981 im FRAG-Urteil vorgezeichnet worden war. Jenes anspruchsvolle, auf öffentlich-privaten publizistischen Qualitätswettbewerb angelegte Karlsruher duale Konzept konnte von den Anstalten nicht verwirklicht werden.

Die Marktkräfte waren im übrigen auch im FRAG-Urteil selbst unterschätzt worden. Sie entfalteten sich nun schrittweise und begannen die Szene zu beherrschen, mit weitreichenden Folgen für Publikum, Rundfunkaufsicht, Politik und Recht, bis in die Karlsruher Judikatur hinein. In dem 1986 ergangenen Niedersachsen-Urteil sah sich das Bundesverfassungsgericht veranlaßt, die Zügel nicht etwa anzuziehen, sondern zu lockern. Im Baden-Württemberg-Beschluß von 1987 war das Gericht dann angesichts mancher Urteilskritik um gewisse Rückkorrekturen bemüht, ähnlich in späteren Entscheidungen, welche sich indes im wesentlichen auf Versuche einer verfassungsrechtlichen Aufwertung und institutionellen Absicherung des öffentlichen Sektors beschränken mußten. Auf dem privaten Sektor nahmen die Dinge dagegen weiter ihren Lauf.

3. Von der Medien- zur Standortpolitik, am Beispiel Nordrhein-Westfalens

Anfängliche antizyklische, auf energische Gegensteuerung bedachte regulatorische Ansätze glitten an den widerspenstigen Fakten ab, sie waren nicht realisierbar und wurden nach und nach fallengelassen. Das gilt beispielsweise auch für die frühere Landesanstalt für Rundfunk und jetzige Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfR/LfM).

Das 1987 entstandene nordrhein-westfälische Landesrundfunkgesetz (LRG NW) enthielt immerhin noch einen Programmauftrag und Programmgrundsätze, die sich an dem Vorbild des WDR-Gesetzes von 1985 (WDR-G) orientierten. In der Aufsichtspraxis gab es allerdings erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, ob und wie diese an sich vielversprechenden normativen Grundlagen tatsächlich ins Spiel zu bringen wären. Manch ein Provinzpolitiker sah sich außerstande, neuen Machthabern wie den RTL-Oberen mit dem Gesetz in der Hand gegenüberzutreten und einfach auf dessen Befolgung zu dringen – dafür fehlte es schon an Sachkompetenz und persönlichem Standing. Ähnliche Schwächesymptome zeigten sich bei Verbandsvertretern, z.B. auch aus dem gewerkschaftlichen Bereich. Andere warben um Verständnis für die Anlaufschwierigkeiten der Unternehmen und meinten, man müsse aus ökonomischen Gründen zunächst Milde obwalten lassen. Wieder andere waren hingegen der Ansicht, der qualifizierte Programmauftrag müsse den Anbietern von vornherein wirklich nahegebracht werden, er könne – wenn überhaupt – nur im Gründungsstadium durchgesetzt werden („jetzt oder nie“). Darin spiegelten sich innere Unsicherheiten in der bundesweiten und auch in der landesinternen SPD-Medienpolitik wider, einschließlich ihres LfR-„Freundeskreises“. Es gab dort auch jahrelange verdeckte Positionskämpfe, und diese endeten schließlich damit, daß ein wirtschafts-, zumal standortpolitisch motiviertes weich-kooperatives Verhaltensmuster durchdrang.

Im Zeichen fortschreitender Annäherung auf extern-politischer Ebene (Clement – Bertelsmann) mochten auch die LfR-Organe nicht zurückstehen. Der Direktor machte also von dem anspruchsvollen Programmrecht nicht mehr ernstlich Gebrauch, und das dem WDR-Rundfunkrat nachgebildete, sehr kopfstarke gruppenplurale Kontrollgremium der Anstalt (Rundfunkkommission, später Medienkommission) deckte ihn dabei mehrheitlich. Das Gremium fiel, nach hoffnungsvollem Beginn, immer öfter in ein schwächliches Räsonnieren zurück, oder es verschwieg sich gänzlich und ließ ein paar eingeweihte, hinter den Kulissen geschäftige politik- und wirtschaftsnahe Akteure gewähren. Auch seine eigenen, eher konfliktscheuen und wenig souveränen Vorsitzenden trugen dazu bei, daß es seine Möglichkeiten nicht ausschöpfen konnte und zunehmend unterfordert war. Manche Mitglieder gewöhnten sich dann an die Subalternität, sie kamen nur noch zu den Sitzungen, um sich abfüttern zu lassen. Was die programmliche Qualitätssicherung und deren medienstrukturelle Voraussetzungen und Hintergründe betrifft, so fand sich die Kommission einschließlich ihrer Ausschüsse endlich in einer bloßen Ja-Sager-Rolle wieder. Die eingangs beschriebenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe gerieten dabei an den Rand. Wie man hinter vorgehaltener Hand äußerte, schienen sie im Grunde ohnehin nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tauglich und durchsetzbar. Daß solche Enthaltsamkeit die eben erwähnten Probleme „dualer Unordnung“ noch vergrößern und die allgemeine „Konvergenz nach unten“ beschleunigen könnte, wollte man nicht wahrhaben. Unterdessen konzentrierte sich die LfR, nachdem die Lizenzen im wesentlichen vergeben und die marktmäßigen Claims abgesteckt waren, auf laufende Angelegenheiten (Kabelbelegungsplanung u.ä.) und im übrigen auf sekundäre Beratungs- und Förderungsaufgaben, insbesondere Medienforschung und Medienkompetenz betreffend.

2002 trat an die Stelle des Landesrundfunkgesetzes das Landesmediengesetz (LMG NW). Nach dem Willen der Düsseldorfer Staatskanzlei, die nun zunehmend neoliberales Ideengut übernahm und ein „Führerscheinprinzip“ à la Baden-Württemberg/Hamburg befürwortete, sollte das Gesetz programmrechtlich weitgehend dereguliert werden. Ganz so farblos wollte es die rot-grüne Landtagsmehrheit dann aber doch nicht haben, sie nahm wieder etwas mehr von den – im Regierungsentwurf schon weitgehend gestrichenen – LRG-Programmgrundsätzen auf. Wie diese eigentlich zu operationalisieren wären, blieb jedoch weiterhin ungewiß. Die jetzigen LfM-Organe ihrerseits legen in aktuellen programmrechtlichen Streitfällen, etwa Verletzungen der Menschenwürde im „Dschungel-Camp“ betreffend, bereits wieder beträchtliche Unsicherheit an den Tag. Daß sich der scharfsichtige, aber ziemlich weichherzige Direktor und die „verschlankte“ Medienkommission endlich doch noch als energische Regulierer erweisen und zu entsprechenden qualitätssichernden Maßnahmen aufraffen werden, ist wenig wahrscheinlich.

IV. Reformperspektiven

1. Was ist zu tun?

Zu eventuell effektiveren übergreifend-bundesweiten Lösungen scheint es in der Privatrundfunkaufsicht nicht zu kommen. Die Debatte flackert zwar noch von Zeit zu Zeit auf, so zuletzt aufgrund der von dem jetzigen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck erhobenen Forderung nach einer einheitlichen Ländermedienanstalt. Solche Remedur wäre m.E. sinnvoll, falls sie so ansetzen würde, daß davon mehr innere Unabhängigkeit und regulatorische Kraft bei den Medienwächtern zu erwarten wäre. Solche Zentralisierungen sind aber bisher immer wieder durch standortpolitische und sonstige Länderinteressen verhindert worden.

Wenn sich herausstellt, daß das jetzige Gremienwesen seinen Aufgaben im dualen System definitiv nicht gewachsen ist, wird man sich etwas Neues einfallen lassen müssen. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn die gesellschaftliche Kontrolle bisherigen Zuschnitts in den Medienanstalten den ausufernden Marktdynamiken und Vermachtungstendenzen auch in Zukunft nicht die Stirn bieten und nicht wirklich auf Gegensteuerung dringen kann – ein anhaltender Schwächezustand, wie er nach dem eben Gesagten tatsächlich zu befürchten ist.

In diesem Fall wird zunächst versucht werden müssen, die äußeren ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in der Weise zu verändern, daß die Schieflage des dualen Systems insgesamt verringert wird. Das wäre in diesem späten Stadium außerordentlich schwierig (vgl. das anfängliche „jetzt oder nie“-Argument). Es wäre gewiß eine Kärrnerarbeit, und sie wird im politischen Raum gegenwärtig nicht – auch nicht nach dem tektonischen Beben, das von der Kirch-Pleite ausgegangen war – als unvermeidlich angesehen und in Angriff genommen.

Parallel dazu und auch unabhängig davon wird man sich um eine Kräftigung der gesellschaftlichen Kontrolle bemühen müssen. Insoweit werden sich auf dem privaten Sektor Reformfragen stellen, wie sie kürzlich in Nordrhein-Westfalen bei der Abfassung des jetzigen Landesmediengesetzes angeklungen sind. Denn bei dieser Gelegenheit hat der Gesetzgeber zwei neue Gremien geschaffen, die auf zwei in der überregionalen Diskussion oft genannte Hauptpunkte ausgerichtet sind und ein gewisses innovatives Potential aufweisen: die Medienversammlung und den Medienrat, abzielend auf mehr Partizipation und mehr Expertise. Sie verkörpern zwei Reformanliegen, welche beide gleichermaßen relevant sind. Überzeugender wäre es allerdings gewesen, die Erneuerung nicht auf solche zusätzlichen, etwas aufgesetzt wirkenden Gremien zu beschränken, sondern damit bei dem gruppenpluralen Grundorgan (Medienkommission) selbst zu beginnen. Das hätte dort zu einer Reform an Haupt und Gliedern führen können – was auch auf die Abschaffung der Kommission und auf deren Beerbung durch ein revitalisiertes und weiterentwickeltes, direkt-zivilgesellschaftlich verankertes sog. Experten- oder Ratsmodell hätte hinauslaufen können. Davor sind die politischen Akteure 2002 noch zurückgescheut.

Was sie statt dessen ins Gesetz geschrieben haben, liest sich wie folgt: Die Medienversammlung „initiiert und fördert den Diskurs zwischen den Mediennutzerinnen und -nutzern, den Akteuren der Medienbranche, der Medienwissenschaft und Medienpolitik sowie des Medienjournalismus über den Stand und die Entwicklung der Medien in Nordrhein-Westfalen“ (§ 40 Satz 1 LMG NW). Der Medienrat seinerseits „erarbeitet einmal jährlich einen Bericht über Stand und Entwicklung des Rundfunks und der Mediendienste in Nordrhein-Westfalen, insbesondere zu Fragen der Vielfaltsicherung, Medienethik, Mediennutzung, Medienqualifikation und der wirtschaftlichen Lage der Veranstalter sowie der im und für den Rundfunk Tätigen“ (§ 106 Abs. 1 Satz 1 LMG NW).

Das klingt erst einmal vielversprechend, kommen darin doch vielerlei Problemfelder und Desiderate zusammen, wie sie vorhin auch von uns berührt worden sind, und noch ein paar weitere: „Mediennutzerschutz“ (§ 40, Überschrift) jetzt auch diskursiv-partizipativ; programmrechtliche und programmethische Qualitätsfragen; unternehmerische Interessen und Ökonomisierungsprobleme; Medienprofessionalismus, andeutungsweise sogar auch innere Rundfunkfreiheit als Qualitätssicherungskonzept – ein für LRG NW/WDR-G früher einmal wichtig gewesenes Thema, das in der Praxis dann jedoch unterschätzt und vernachlässigt worden ist, bis es kürzlich beim WDR (Redakteursversammlung vs. „Banalisierung“) überraschend wieder auflebte; die unentbehrliche und gleichwohl für Krisen und Bedrängnisse anfällige unabhängige professionelle Medienkritik; wissenschaftsgestützte Politikberatung; und nicht zuletzt die medienpolitischen Akteure selber, die die Vorschriften im Parlament beschlossen haben.

Dies sieht allerdings bisher nur nach einem irgendwo aufgestellten, mehr oder minder informell, form- und folgenlos prozedierenden Runden Tisch aus. Die verschiedenen im Gesetz erwähnten Personenkreise und Sachbereiche werden noch nicht in zweckentsprechender Weise zusammengefügt. Die neuen Gremien (warum überhaupt zwei und nicht eines, am besten eben ein reformiertes Grundorgan?) haben nach Funktion und Struktur noch kein überzeugendes Aussehen. Die Medienversammlung stellt ein bloßes LfM-Anhängsel ohne eigenen Organstatus dar. Der Medienrat ist ein vom Landtag zu besetzendes fünfköpfiges LfM-Organ, in dem wesentliche fachliche Qualifikationen vorkommen sollen, jedoch ohne daß dafür auch ein angemessener anstaltsinterner und -externer, medienübergreifender Verwendungs- und Wirkungszusammenhang ersichtlich wäre. Fragwürdig erscheint auch schon der für sachfremde Einwirkungen (irgendwelche proportionalen Arrangements usw.) anfällige Besetzungsmodus, der denn auch bei der ersten praktischen Anwendung 2003 zu einem ziemlich blassen Erscheinungsbild des neuen Gremiums geführt hat.

Die Diskursidee als solche ist interessant und lobenswert, sie könnte über bisherige reflexive Plattformen – das Kölner Medienforum, die Stendener Medientage, Fachkongresse, Institutstagungen – hinausführen. Nur hat sie im Zusammenspiel von publizistischer Professionalität und deren gesellschaftlicher Kontrolle und staatlicher Gewährleistung noch nicht den richtigen Platz gefunden. Das Garantiegefüge funktionsgerecht zu ordnen und auszugestalten, hat man nun – auch soweit es WDR-Programme, Internet-Öffentlichkeiten und (mittelbar) die Printmedien betrifft – LfM-Satzungen vorbehalten. Auch das kann nicht überzeugen.

Dies gilt gerade auch für die partizipativen Aspekte der Diskursidee. Dahinter verbirgt sich ein grundsätzliches Problem, das der Gesetzgeber, statt es an die LfM zu delegieren, besser selbst bearbeitet hätte: Kann sich die Zivilgesellschaft als solche – die hiernach eben nicht nur eine „formierte“ Verbandsgesellschaft sein soll – überhaupt medienspezifisch konstituieren und organisieren, und wie könnte das zugehen? Wie könnte sie zu einer medienadäquaten eigenen, relativ autonomen Infrastruktur gelangen? Wenn es hier um ein eigenständiges und kraftvolles bürgerschaftlich-öffentliches, d.h. nicht von Parteien/Parlament/Regierung abhängiges diskursivisches Potential geht – was müßten Staat (inklusive Parteien) und Anstalt dafür tun, daß sich ein solches Potential tatsächlich herausbilden kann?

Man konnte dieses konstitutionelle Problem in kleinerem Rahmen auch schon bisher antreffen, nämlich in der Ausgestaltung der sog. Bürgerbank in der LfR-Rundfunkkommission nach dem Muster des WDR-Rundfunkrats (die in beiden Fällen mißlungen war). Im Landesmediengesetz ist das Bänke-Modell dann bezüglich der LfM-Medienkommission fallengelassen worden. Die Problematik der Bürgerbeteiligung hat man in die Medienversammlung verlagert. Gelöst ist sie damit freilich noch nicht, wie sich auch aus Planung und Verlauf der ersten, im vorigen Herbst realisierten Sitzung der Medienversammlung ergibt. Diese wurde von dem Vorsitzenden der Medienkommission vorsichtig und routinemäßig geleitet, sie stand im Zeichen von Digitalisierungsfragen und war inhaltlich von ein paar Technik-Freaks bestimmt. In den großen Qualitäts- und Strukturfragen blieb sie ganz unergiebig.

Vielleicht kann man darüber in der LfM bei nächster Gelegenheit noch einmal nachdenken und etwas mehr tun, desgleichen im politischen Raum. Es wäre zu wünschen, daß dabei auch frühere Vorschläge für die Anreicherung unabhängiger medienspezifischer Expertise auf anstaltsexternen höheren Ebenen in die Überlegungen einbezogen würden, etwa in einem dem Bundespräsidenten zugeordneten hochkarätigen Board oder auf dem Boden einer öffentlichen Stiftung. Zugleich und im Zusammenhang damit müßte dann auf intensivere gesellschaftliche Rückkoppelungen hingearbeitet werden.

2. Schlechte Aussichten?

Wie aber nun, wenn aus alledem nichts wird? Wie, wenn es nicht gelingt, die eingangs umrissenen verfassungsrechtlichen Standards auch auf dem privaten Sektor im gebotenen Ausmaß zu verwirklichen? Dann erhöht sich das Risiko eines Grundrechts-Kollapses, nämlich daß die Privatrundfunkfreiheit zunehmend ökonomisiert wird, daß sie nach und nach – eines ferneren Tages womöglich mit Karlsruher Plazet – aus dem Rundfunkrecht abdriftet und in das allgemeine Wirtschaftsrecht in Verbindung mit dem Mediendienste-Staatsvertrag überwechselt, daß eine so sich entwickelnde Medienunternehmerfreiheit auch keine Mediengesetze, Medienanstalten und gesellschaftlichen Kontrolleure mehr braucht usw. In dem so gearteten, von Interessenten und Lobbyisten eifrig verfochtenen neoliberalen Endstadium gibt es dergleichen nicht mehr, also sind Direktoren und Kontrollgremien auch der damit bisher in der Programmaufsicht bestehenden Schwierigkeiten ledig, und sie werden, wenn wir dies zuendedenken, auch selbst überflüssig. Auch mit der bisherigen, ohnehin mühsamen rundfunkspezifischen Konzentrationskontrolle hat es dann ein Ende, ungeachtet wachsender realer Marktmacht einiger weniger. Der Ökonomisierung und Banalisierung des privaten Rundfunks à la „Big Brother“ wären damit Tür und Tor geöffnet.

Damit könnte auch der noch verbliebene Rest der „dualen“ ordnungspolitischen Idee dahinschwinden. Der öffentliche Sektor könnte im Ergebnis gezwungen sein, für die verfassungsrechtliche Rundfunkaufgabe allein einzustehen, und er müßte auch mit den kommerziellen, zunehmend wildwüchsig werdenden Gegenkräften immer wieder von neuem fertigwerden. Über die Anfechtungen aus dem privaten Sektor werden sich die ARD-Anstalten und das ZDF unter qualitativen Gesichtspunkten, jedenfalls bei den jetzigen publizistischen Stärkeverhältnissen, weiter keine grauen Haare wachsen lassen müssen. Unter Quotenaspekten bleiben sie jedoch angreifbar und sind gut beraten, eine funktionsgerechte, d.h. qualitativ ansetzende wirksame Gegensteuerung zu betreiben. Dies auch darum, weil es sich dabei um die Zufriedenstellung und Beibehaltung bzw. Zurückgewinnung desjenigen großen Publikums handelt, das die Rundfunkgebühr zahlt.

Und nicht nur dies. Nach Autoren wie Habermas müßte das Gesamtpublikum eigentlich als aktive Bürgergesellschaft und Gewährleistungsinstanz für den öffentlichen Sektor eintreten. Es müßte sich gegen kommerzielle Beeinträchtigungen der Funktionstüchtigkeit seiner Funkhäuser wenden und zugleich auch der konkurrenzbedingten Selbstkommerzialisierung wehren. Auch gegen externe populistisch-politische Schmälerungen der funktionellen Integrität der Anstalten müßte es entschlossen aufstehen und ankämpfen. Daran ist es zur Zeit umständehalber (durch Gewöhnung an den Couch-Potato-Habitus, durch zu viel „Big Brother“-Konsum usw.) verhindert – muß das aber immer so bleiben? Warum sollten wir nicht versuchen, die Zuhörer und Zuschauer in ein großes konstitutionelles Konzept regulierter Selbstregulierung einzubeziehen?

3. Zur Rolle der Gewerkschaften

Stabilisierung des dualen Systems, soweit möglich, und jedenfalls Sicherung und Kräftigung des öffentlichen Sektors – das sollte auch für gewerkschaftliche Medienpolitik von neuem zum Thema werden. Die Gewerkschaften könnten dabei mit anderen dafür ansprechbaren Verbänden und Institutionen zusammenarbeiten. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß im innergewerkschaftlichen Bereich erst einmal der dafür nötige Sachverstand – von dem in den letzten Jahren nicht mehr viel zu sehen war – reaktiviert und gestärkt wird. Er müßte dann im politischen Raum in konzentrierter Form ins Spiel gebracht werden, beginnend mit gebündelten zivilgesellschaftlichen Aktivitäten von der Ebene der Zuschauer und Zuhörer aus. Von letzterer Ebene aus wären auch die Kontrollgremien in den Anstalten zu revitalisieren, wobei den dortigen Gewerkschaftsvertretern eine besondere Impulsfunktion und Vermittlungsaufgabe zukommen könnte. Das sind aktuelle Themen und Möglichkeiten, über die auf dieser Tagung noch genauer zu reden sein wird. Sie sollten auch danach auf der Tagesordnung bleiben und schrittweise weiter konkretisiert werden.

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