K. Beitrag auf den Hohenheimer Tagen zum Ausländerrecht 2004: Auf dem Weg zur Rechtsgleichheit? Integration zwischen Zwang und Förderung, veranstaltet von der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 31.1.2004 in Hohenheim

1. Eine schwierige Wahl

Über Islamunterricht in öffentlichen Schulen wird in Deutschland schon seit Jahrzehnten diskutiert. Daraus sind auch bereits eine Reihe praktischer Schritte hervorgegangen, meist Experimente und vorläufige Lösungen von begrenzter Reichweite und geringer Perfektion. Daran knüpft die heutige Debatte an und kreist um die Frage, wie man über solche Provisorien nunmehr hinauskommen und tiefgreifende, tendenziell dauerhafte Reformen in Gang setzen könnte.

Hierbei ist von vornherein ein Konstruktionsproblem aufgetreten, das sich als äußerst vertrackt erwiesen hat – darin hat sich die Politik immer wieder verhakt und tut das bis heute, desgleichen die begleitende juristische Fachdebatte, die große Mühe hat, hier zu einer realistischen und bildungsadäquaten Position zu gelangen. Es handelt sich kurz gesagt um die Alternative: Soll es einen Islamunterricht als staatlich-säkulare, allgemeinpädagogisch konzipierte und dabei auch religiösen Belangen zugewandte informierende „Religionskunde“ geben oder aber als islamisch-konfessionellen „Religionsunterricht“ (heute auch „Bekenntnisunterricht“ genannt) im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG in der Auslegung der vorherrschenden staatskirchenrechtlichen Lehre, also „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“?

Letztere Formel entstammt der Weimarer Staatsrechtslehre. Sie ist dann vom Bundesverfassungsgericht übernommen und zuletzt 1987 bekräftigt worden, und sie steht auch heute noch für das traditionelle kirchennahe, auf die christlichen Großkirchen zugeschnittene Modell eines konfessionalisierten und dennoch „ordentlichen Lehrfachs“, das man tunlichst beibehalten und auch auf andere Religionen übertragen will (Heckel 1999; Link 2000). Für die islamische Religion und den Islamunterricht aber will jenes Modell nicht so recht passen, und es ist auch generell reformbedürftig (Stock 2003). Man steht also vor einer schwierigen Wahl.

2. Zum heutigen Sachstand in den Bundesländern

Die Situation in den deutschen Ländern sei hier kurz in Erinnerung gerufen. Ausgangspunkt muß dabei die Feststellung sein, daß ein islamischer Religionsunterricht als konfessionsgebundenes ordentliches Lehrfach im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG in der Interpretation der herrschenden Rechtslehre bislang in keinem deutschen Land erteilt wird. Vielmehr stellen den Normalfall diverse überschlägig als staatlich-religionskundlich zu bezeichnende Unterrichtsangebote dar, wobei in der näheren Ausgestaltung unterschiedliche Ansätze und Entwicklungsstufen zu bemerken sind, von ganz einfachen, eher notdürftigen Lösungen bis zu einem schon recht ansehnlichen, relativ hohen Niveau.

Letzteres gilt vor allem für die religionskundliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen. Zum einen gibt dort seit 1986 vielerorts eine „Islamische Unterweisung“ im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts, überwiegend auf türkisch. Zum andern läuft zwischen Rhein und Weser seit 1999 ein großangelegter, mittlerweile 100 Schulen umfassender Modellversuch, in welchem dieses Lehrangebot nun auch als eigenständiges Fach in deutscher Sprache ausgestaltet und erprobt wird. Der Unterricht beruht auf landeseigenen, in dem Soester Landesinstitut für Schule in Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Experten entwickelten Curriculumwerken (Gebauer 1995)  und wird von eigenen, im Wege der Fortbildung dafür qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern erteilt. Der Versuch wird von dem Soester staatlichen Institut, für das nunmehr auch ein entsprechender Beirat vorgesehen ist, wissenschaftlich begleitet und evaluiert. An der Universität Münster ist im übrigen soeben ein „Centrum für Religiöse Studien“ eröffnet worden, das der religionswissenschaftlichen Forschung und Lehre dienen und u.a. einen Lehramtsstudiengang für Islamunterricht an öffentlichen Schulen entwickeln und betreuen soll (Bauer u.a. 2004). Damit will man auf diesem Gebiet endlich – möglichst schon ab Sommersemester 2004 – auch zu einer eigenen, grundständigen universitären Lehrerausbildung gelangen.

In anderen Bundesländern gibt es Islamunterricht in den mannigfaltigsten Formen, von Korankursen, wie sie in Moscheegemeinden in großer Zahl erteilt werden, über in fremder (meist türkischer) staatlich-konsularischer Verantwortung erteilten fremdsprachigen Unterricht bis zur Behandlung islamisch-religiöser Themen im muttersprachlichen Unterricht in deutscher pädagogischer Regie und durch im Landesdienst beschäftigte reguläre Lehrkräfte. Mitunter finden sich auch merkwürdige binationale (meist türkisch-deutsche) curriculare und personelle Mischmodelle, so in Bayern, wo man damit auch schon über den muttersprachlichen Unterricht hinausgegangen ist. Dies bleibt jedoch eine seltsame Überfremdung, zumal die Zuwanderer in der Regel dauerhaft hierbleiben wollen und oft auch schon die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben. Im übrigen werden bei dem bayerischen Arrangement die Bildungsbedürfnisse muslimischer Schüler von anderer als türkischer Herkunft vernachlässigt.

Einen Schritt weiter ist man in Bayern jüngst mit einem Modellversuch gegangen, in dessen Rahmen seit dem Schuljahr 2001/02 an mittlerweile zwölf Grundschulen islamische Unterweisung auf der Grundlage der bestehenden Richtlinien, aber in deutscher Sprache unterrichtet wird. Parallel dazu wurde beim Ministerium ein Runder Tisch eingerichtet, der die Dinge begleiten und sich über den weiteren Fortgang Gedanken machen soll.

Auf Drängen des Landtags gab die bayerische Schulministerin außerdem nach längerem, mit rechtlichen Schwierigkeiten begründetem Zögern grünes Licht für ein etwas stärker konfessionalisiertes kleines Pilotprojekt, das mit dem Schuljahr 2003/04 an einer Erlanger Grundschule begonnen hat. Dabei wird nach den Worten der Ministerin von einem Lehrplanentwurf der multiethnisch zusammengesetzten, aus Muslimen sunnitischer und schiitischer Ausrichtung bestehenden und von staatlicher Seite als integrationsbereit bewerteten Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen e.V. (IRE) ausgegangen. Unter Federführung und in „Gesamtverantwortung“ des Ministeriums solle dort religiöses Wissen vermittelt und auch zum Glauben erzogen werden, soweit der diesbezügliche Grundkonsens im IRE reiche.

Ein ähnliches in gewissem Umfang islamisch-religiös akzentuiertes, zunächst klein dimensioniertes und vom Staat moderiertes experimentelles Vorhaben gibt es neuerdings in Niedersachsen. Das Land führt seit Schuljahrsbeginn 2003/04 an acht Grundschulen einen vierjährigen Schulversuch „Islamischer Religionsunterricht“ durch. Der Unterricht wird in deutscher Sprache von vom Land eingestellten muttersprachlichen Lehrkräften auf der Grundlage eines vom Land herausgegebenen Lehrplans erteilt. Konzeption und Inhalt des Versuchs sind an einem Runden Tisch mit der SCHURA Niedersachsen abgestimmt worden, wozu das Kultusministerium die maßgeblichen Repräsentanten der muslimischen Organisationen und Vereine in Niedersachsen eingeladen hatte.

Anders in Baden-Württemberg, wo man wohl ähnlich verfahren wollte, aber bisher nicht in Gang gekommen ist. Zwar tagte seit Frühjahr 2000 eine von der Kultusministerin ins Leben gerufene Steuerungsgruppe, der vier Vertreter von an einem eigenen Religionsunterricht interessierten islamisch-sunnitischen Verbänden, ein Alevitenvertreter sowie zwei deutsche Religionspädagogen angehörten. Die staatlicherseits angestrebte Einigung mindestens der sunnitischen Gruppierungen kam jedoch dem Vernehmen nach bisher nur zum Teil zustande. Nach längeren Bemühungen legten die Sunnitenvertreter dem Ministerium schließlich gemeinsame Lehrplanentwürfe für die Klassen 1 bis 4 vor. Sie konnten sich aber noch nicht auf einen Dozenten für die an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe geplante Weiterbildung von Lehrkräften einigen. Auch haben sie noch nicht, wie vom Ministerium gefordert, Mitgliederlisten von Eltern eingereicht, welche ihre Kinder in einen bekenntnisorientierten Islamunterricht schicken würden. So ging es denn mit der Arbeit der Steuerungsgruppe nicht voran.

Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ihrerseits tendieren eher in die andere, religionskundliche Richtung, sie möchten den Anschluß an die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen finden. Wieder andere Länder scheinen noch nicht so recht zu wissen, was sie eigentlich wollen, oder der Problemdruck wird dort mangels massenhafter Immigration als geringer erachtet (so in Ostdeutschland).

Eine rechtliche und reale Sondersituation besteht in Berlin. Dort scheint sich auf dem Boden der Ausnahmevorschrift des Art. 141 GG eine kleinräumig parzellierte und pluralisierte, postmodern-patchworkartige Curriculumstruktur abzuzeichnen. Von der Islamischen Föderation in Berlin e.V. (IFB), einer lokalen Organisation, der eine Nähe zum „politisierten Islam“ der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus e.V. (IGMG) zugeschrieben wird, ist dort ein gruppenspezifisch-privater, aber in öffentlichen Schulräumen stattfindender eigener Religionsunterricht auf dem Klageweg durchgesetzt worden. Daraus könnte dann eine Tendenz hin zu einem „Religionsunterricht light“ erwachsen: zu einem weichen, nichtdialogischen Multikulturalismus, zu Deregulierung, Privatisierung, Permissivität, marktmäßiger Beliebigkeit unter Einschluß von Winkelschulen, radikalen Rattenfängern usw.

Etwas Ähnliches mag sich nun auch anderswo ergeben. Manche wollen das Berliner konfessionelle Modell auch im Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 3 GG verankern. Auch der konventionelle christliche Religionsunterricht würde davon übrigens nicht unberührt bleiben, auch er hätte mit tiefgreifenden Veränderungen zu rechnen. In Berlin sind Kirchen und CDU bestrebt, solchen Anfechtungen dadurch zu entgehen, daß der Religionsunterricht nunmehr auch dort zum ordentlichen Schulfach gemacht und in eine neu zu schaffende Gruppe von Wahlpflichtfächern „Religion/Ethik/Philosophie“, evtl. mit verbindlichen Kooperationsphasen, eingegliedert wird. Damit hofft man auch um Gewichtsverluste herumzukommen, wie sie das benachbarte, auch religionskundliche Elemente enthaltende Brandenburger LER-Modell (Hanßen 2003; Hillerich 2003) für den Bekenntnisunterricht mit sich gebracht hatte.

3. Aktionismus seit dem 11. September 2001

In letzter Zeit, namentlich seit dem 11. September 2001, wird von religiösen und politischen Akteuren häufig – auch im „rot-grünen“ Nordrhein-Westfalen – eine konfessionelle Lösung befürwortet, wie sie in unionsregierten Ländern wie Baden-Württemberg, Bayern und jetzt auch Niedersachsen von vornherein explizit als Entwicklungsziel benannt worden war. Vielerorts zeichnet sich ein Trendwechsel dahingehend ab, daß von muslimischer und zunehmend auch von deutscher Seite statt des pädagogisch-religionskundlichen ein religiös gebundener Islamunterricht gefordert wird. Aus mehreren Ländern wird über entsprechende Vorstöße islamischer Verbände berichtet. Solche Forderungen treffen nunmehr auch in deutschen Parlamenten und Regierungen oftmals auf Interesse und Wohlwollen, und sie sind bereits auf Bund-Länder-Ebene sowie von der Kultusministerkonferenz der Länder aufgegriffen und prinzipiell befürwortet worden.

Man will dann ein Gegenstück zu dem üblichen katholischen und evangelischen Religionsunterricht schaffen, nämlich ein islamisches Unterrichtsangebot, welches den Rechtsformen nach auf bestimmte von einer entsprechenden „Religionsgemeinschaft“ (Poscher 2000; Pieroth/Görisch 2002) formulierte, normativ-dogmatisch gefasste Glaubens-„Grundsätze“ verpflichtet sein soll; nur in den so gezogenen Grenzen soll es religions- sowie allgemeinpädagogisch ausgeformt werden und ein wissenschaftsorientiertes ordentliches Lehrfach darstellen. Ein derartiges religiös-wertschweres islamisches Schulfach wird gegenwärtig in Deutschland von vielen zum Zweck der Integrationsförderung gewünscht (Langenfeld 2001; Muckel 2001). Es wird auch als Mittel mentaler Gewaltprävention angesehen und dringend gefordert, wobei bildungsspezifische Gesichtspunkte und schulpraktische Machbarkeitsfragen weniger Beachtung finden.

In den Vordergrund getreten ist daraufhin die Suche nach einem islamischen „Ansprechpartner“ der Schulverwaltung, welcher als Religionsgemeinschaft im Rechtssinn fungieren und die als nötig erachteten heteronomen curricularen Festlegungen vornehmen könnte (Arbeitsgruppe 2002). Und hierbei bekommt man es mit inneren Konstituierungs- und Legitimierungsproblemen des – ziemlich inhomogenen und schwach institutionalisierten – Islam zu tun, für die es bisher noch keine allerseits akzeptierten, den Usancen beim christlichen Religionsunterricht entsprechenden Lösungen gibt (Ständige Konferenz der Kultusminister 2003). In Baden-Württemberg kennt man die Mühsale, die daraus erwachsen können, recht gut, ebenso aber jetzt auch in Nordrhein-Westfalen, bislang einem Pionierland auf religionskundlichem Gebiet.

In Düsseldorf verloren einige plötzlich das Interesse an dem laufenden, durchaus originellen und im Ländervergleich führenden Schulversuch mit Islamunterricht. Sie wollten ihn nur noch als eine Art Lückenfüller und Platzhalter tolerieren: als Provisorium ohne klar formulierte, konsensfähige und sachadäquate bildungsspezifische Zielsetzung. Als Dauerlösung sollte darauf nach den neuen Plänen auch dort, wenn irgend möglich, ein Bekenntnisunterricht in Übereinstimmung mit gewissen als islamisch-authentisch geltenden Direktiven folgen, die dem disparaten und buntscheckigen politisch-religiösen Verbändewesen (Lemmen 2002) entstammen sollten. Die Moscheevereine und Großverbände sollten ihre tiefgehenden Dissense und Zwistigkeiten schließlich doch noch irgendwie überwinden oder überbrücken. Sie sollten sich in der Weise formieren, daß sie die islamische Glaubensgemeinschaft als ganze – die in ihnen freilich nur zu etwa 10 bis 15 v.H. quasi-mitgliedschaftlich engagiert ist – verkörpern und endlich einen hinlänglich legitimierten einheitlichen Ansprech- und Kooperationspartner für die staatliche Seite darstellen könnten. Die Kompromißfindung sollte auf ein allgemeines curriculares Einvernehmen abzielen und unter energischem moderierendem Zutun des deutschen Staats vonstatten gehen.

Die nordrhein-westfälische Schulministerin lud nun, ähnlich wie es eben aus Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg berichtet worden ist, fünf relevante Großorganisationen zu einem Runden Tisch als eigenem Forum der Muslime ein, an dem auf deren Wunsch auch Fachleute der Landesregierung teilnehmen könnten. Die Verbände könnten dort, so die Ministerin, zunächst gemeinsame Erwartungen an einen Lehrplan für islamischen Religionsunterricht formulieren. Dabei sollten nach den staatlichen Intentionen auch bestimmte der Fernhaltung fundamentalistischer Kräfte dienende staatsschützerische Auswahlkriterien und Filtermechanismen Platz greifen, vielleicht nach der BMI-Devise „Integration und Abwehr“. Alles in allem sollten die gutwilligen Muslime bei günstigem Verlauf so weit zusammengebracht und institutionell eingebunden werden, daß sie über kurz oder lang imstande wären, als Religionsgemeinschaft im schulrechtlichen Rechtssinn aufzutreten und an einem islamischen Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach gestalterisch mitzuwirken, und zwar religiös-inhaltlich dominant und dennoch auch auf die hierzulande bildungsrechtlich geforderten, letztlich aufklärerisch motivierten allgemeinen pädagogisch-didaktischen Standards eingestellt, im Prinzip nicht anders, als es nach der vorherrschenden Kirchenrechtslehre den christlichen Kirchen beim katholischen und evangelischen Religionsunterricht zukommen und gelingen soll. In die so aufgestellten ziemlich großen, nicht gerade leichten und bequemen Schuhe sollten nun auch die Muslime schlüpfen.

Das kooperativ-konsensuale, einem Landtagsbeschluß über eine allgemeine „Integrationsoffensive“ entsprechende Düsseldorfer Vorhaben scheiterte jedoch an der Zerrissenheit des Islam in unterschiedliche, zum Teil tief verfeindete religiöse und nationale Schulen und Gruppen. Diese konnten sich nicht auf gemeinsame Grundsätze einigen. Fern hielt sich vor allem die zahlenmäßig stärkste Organisation, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), die den hiesigen von Ankara aus gesteuerten türkischen Staatsislam repräsentiert. Sie unterstützte den religionskundlich-staatlichen Modellversuch, die konfessionellen Bestrebungen des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland e.V. und des Zentralrats der Muslime e.V. hingegen lehnte sie ab. Die Föderation der Alevitengemeinden in Deutschland e.V. (AABF) wiederum wollte noch andere, ganz und gar eigene Wege gehen. Das Ministerium seinerseits mochte der Schaffung je verschiedener, gruppenspezifischer Religionsunterrichte grundsätzlich nicht nähertreten, es bestand auf einer übergreifenden, einheitlichen Lösung. Allenfalls hinsichtlich der Aleviten und ihrer besonderen Lage wurde und wird überlegt, hiervon eine Ausnahme zu machen.

4. Konfessionalismus von Rechts wegen?

Auf muslimischer Seite gibt es schon seit längerem Verhärtungen im Sinn eines Alles-oder-Nichts-Standpunkts. Damit mußten sich auch schon einige Verwaltungsgerichte beschäftigen, so – wie erwähnt – in Berlin, dann aber auch in Nordrhein-Westfalen. In diesem Land haben der Islamrat und der Zentralrat schon vor längerer Zeit unter Berufung auf Art. 7 Abs. 3 GG die Einführung eines eigenen regulären Religionsunterrichts nach christlichen Vorbildern beantragt. Der Antrag wurde auch von evangelischer und katholischer Seite grundsätzlich unterstützt, u.a. deshalb, weil Kirchen und Kirchenrechtler – noch beunruhigt über das Vordringen von LER in Brandenburg – auf längere Sicht um den christlichen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach fürchten, wenn es nicht gelingt, konkurrierende religionskundliche Ansätze auch auf dem Gebiet der Islamischen Unterweisung in Schach zu halten und statt dessen einen Islamunterricht in konfessioneller Gebundenheit einzurichten. Letzteres ist aus jener Sicht im Prinzip verfassungsgeboten, wohingegen der bisherige religionskundliche NRW-Ansatz als verfassungsrechtlich bedenklich und allenfalls übergangsweise zulässig (weil „näher beim Grundgesetz“) erachtet wird (Heckel 1999; Muckel 2001). Es gibt auch Autoren, die ihn kurzerhand für verfassungswidrig erklären (Oebbecke 2000; Anger 2003; Emenet 2003; Spriewald 2003). Daß sich Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG – wie schon dessen Weimarer Vorläufer – auch ganz anders auslegen läßt, will man dort nicht mehr wahrhaben.

Das Düsseldorfer Schulministerium bekam es nun mit den bundesweit engagierten juristischen Fürsprechern des Bekenntnisunterrichts zu tun, und es mußte unter politischer Unsicherheit agieren. Es mochte das Ruder jedoch nicht herumwerfen und dem Antrag von Islamrat und Zentralrat stattgeben, vielmehr teilte es den beiden Verbänden mit, es sehe sie nicht als Religionsgemeinschaften im Rechtssinn an. Die Verbände erhoben daraufhin Leistungsklage, sie blieben aber in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erfolglos. Dessen abschlägiges Urteil vom 2.11.2001 beruht auf folgender Argumentation:

Wegen seiner Neutralitätspflicht sei der Staat gehalten, die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts der jeweiligen Glaubensgemeinschaft zu überlassen. Darum müsse diese über eine Instanz verfügen, die ihre relevanten Grundsätze gegenüber Schule, Schülern, Eltern und Schulaufsicht verbindlich feststellen könne. Das dafür nötige Maß an organisatorischer Verfestigung sowie „festliegenden Glaubensinhalten“ sei bei den klagenden Spitzenverbänden aber nicht gegeben. Der beklagte Staat finde in ihnen keinen Ansprechpartner, „der die Fähigkeit zu verbindlicher und hinreichend legitimierter Artikulation von Grundsätzen“ habe, denn sie könnten kein diesbezügliches Mandat vorweisen, das sich bis zu einer mitgliedschaftsrechtlich geordneten und fixierten, aus natürlichen Personen bestehenden „Basis“ zurückverfolgen lasse. Mangels einer derartigen „durchgehenden Legitimationskette“ stellten sie keine Religionsgemeinschaften im Rechtssinn dar. Schon darum stehe ihnen ein Rechtsanspruch auf eigenen islamischen Religionsunterricht nicht zu.

Das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 2.12.2003 blieb im Ergebnis gleichfalls auf dieser Linie, bei im Detail abweichender Begründung: Die klagenden Dachverbände seien keine Religionsgemeinschaften, weil sie ausschließlich oder überwiegend aus islamischen Organisationen bestünden statt – wie es rechtlich erforderlich sei – aus natürlichen Personen. Außerdem fehle den beiden Verbänden das für den Begriff der Religionsgemeinschaft ebenfalls notwendige Merkmal der „allseitigen Aufgabenerfüllung“ („Universalität“ oder „Totalität“ des Wirkungskreises, nach Poscher 2000), denn nach religiösem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild sowie unter Berücksichtigung ihres Selbstverständnisses dienten sie nicht der „umfassenden Glaubensverwirklichung“. Wichtige Aufgaben der praktischen Religionsausübung würden verantwortlich auf niedrigeren Ebenen wahrgenommen.

Das OVG neigt wohl zu der Annahme, die genannten Begriffsmerkmale von Religionsgemeinschaften seien im deutschen Islam eher nur im lokalen Bereich verwirklicht, etwa bei Moscheevereinen (so Emenet 2003). Insoweit könnte es allerdings, wie in dem Urteil am Schluß angemerkt wird, in anderen begriffswesentlichen Punkten Schwierigkeiten geben, nämlich mit der mitgliedschaftlichen Verfaßtheit einer Gemeinschaft und mit der Existenz einer vertretungsberechtigten, zur verbindlichen Festlegung religiöser „Grundsätze“ befugten Instanz. Ob in letzteren Punkten von den herkömmlichen rechtlichen Anforderungen u.U. abgewichen werden könnte, läßt das Urteil dahingestellt. Das eigene personale Substrat und die allseitige Aufgabenerfüllung werden für eine Religionsgemeinschaft jedenfalls als unverzichtbar betrachtet. Weil es bei den Dachverbänden daran fehle, wird die Berufung zurückgewiesen.

Nunmehr wird mit einem Revisionsverfahren gerechnet. Anschließend wollen die Kläger anscheinend, wenn sie auch vor dem Bundesverwaltungsgericht unterliegen, Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. Die Angelegenheit könnte sich in diesem Fall noch ein paar Jahre hinziehen. Für die Karlsruher Richter mag es dann Gelegenheit geben, ihre bisherige Auslegung des Art. 7 Abs. 3 GG einmal grundsätzlich zu überprüfen, vielleicht unter Anknüpfung an diesbezügliche in dem dortigen LER-Prozeß bemerkbar gewordene Ansätze.

5. Alles oder nichts?

VG Düsseldorf und OVG Münster haben in dieser Sache einen gänzlich anderen Weg eingeschlagen als die Verwaltungsgerichte im Berliner Fall (IFB). Das neoliberal-disparate Berliner Modell bleibt demnach bundesweit einmalig, es wird nicht in den Bereich des Art. 7 Abs. 3 GG übernommen. Ihm schallt vom VG Düsseldorf vielmehr ein entschiedenes „So nicht!“ entgegen. Man will nicht diverse kleinere und größere rivalisierende politisch-religiöse Gruppen nebeneinander zum Zuge kommen und womöglich je eigene parallelgesellschaftliche Reservate und Claims abstecken lassen. Das VG läßt sich auch nicht auf diejenigen Stimmen in der Literatur ein, die zwar nicht so weit gehen wollen wie in Berlin, dennoch aber bei dem schulrechtlichen Begriff der Religionsgemeinschaft unter situativen Gesichtspunkten die eine oder andere Flexibilisierung und Auflockerung befürworten (Anger 2003; Heimann 2003). Das VG beharrt demgegenüber auf dem überkommenen, idealtypisch auf römisch-katholische amtskirchliche Strukturen zugeschnittenen Beteiligungsmodell und findet sich nicht dazu bereit, an den darauf beruhenden hohen rechtlichen Anforderungen nennenswerte Abstriche vorzunehmen. Im Ergebnis ebenso das OVG Münster, das sich seiner Sache allerdings nicht ganz so sicher zu sein scheint – es deutet gewisse Anpassungsmöglichkeiten an, hält sie indes im gegebenen Fall nicht für einschlägig und bleibt argumentativ weithin bei dem strengen Duktus der ersten Instanz.

Freilich droht hier dann aus konservativer Sicht ein Dilemma: Jene hohen Anforderungen können beim Islamunterricht wohl niemals eingelöst werden, denn das hierzulande rechtlich in Übung befindliche, auf Fragen formaler Organisation und geistlicher Herrschaft fixierte Modell läßt sich kaum auf die islamische Religion übertragen. Darum wird der deutsche Staat noch lange auf den normativ potenten und wohlprofilierten, kirchenähnlich autoritativ auftretenden muslimischen Ansprechpartner warten müssen. Zu kurz kommen würden unterdessen die wirklich wichtigen inhaltlichen Fragen, und das sind Fragen wie diese:

Sind wir eigentlich gut beraten, den Muslimen als Voraussetzung curricularer Teilnahme einfach nur ein höheres Maß an religiös-normativer „Festlegung“, Formierung und Durchsetzungsfähigkeit abzuverlangen? Sind das nicht formale Kriterien, welche schließlich auch zu einem Autoritarismus nach Art des Kölner „Kalifatsstaats“ führen könnten? Kann es überhaupt Aufgabe der Schule sein, so entstandene heteronome Glaubenssätze unbesehen zu übernehmen und zu bekräftigen? Wie steht es dann mit der Bildungsfreiheit als Geistesfreiheit? Wie will man an die Vielfalt- und Diskursproblematik herangehen? Wo bleibt bei alledem der bildungsrechtliche Konnex (Erziehung zur Mündigkeit)?

Alles dies würde dann ungeklärt bleiben. Entsprechendes gilt allerdings auch für die zahlreichen, mehr oder minder weitreichenden Liberalisierungsvorschläge, wie sie heute im Schwange sind und in Projekten wie demjenigen in Erlangen ausprobiert werden: Auch sie gehen an den essentiellen bildungsspezifischen Fragen vorbei. Sie bezwecken manchmal nur eine Art muddling through, man könnte damit leicht auf Irrwege geraten. Jedenfalls wird man damit über die jetzigen Aporien und Ungewißheiten nicht wirklich hinwegkommen – es sei denn, man springt über seinen Schatten und erkennt ein avanciertes, partizipatorisch zu öffnendes religionskundliches Konzept wie das nordrhein-westfälische endlich als des Rätsels Lösung an, nämlich als verfassungsrechtlich ohne weiteres zulässige und wohl allein realistische, mithin energisch voranzutreibende Alternative. In deren Rahmen könnte dann auch einiges von den anderweitigen Liberalisierungsideen untergebracht und unbedenklich entwickelt werden. Ein einfacher Alles-oder-Nichts-Standpunkt, etwa im Sinn einer harten Konfrontation von Konfessionalismus und Laizismus, wäre hier fehl am Platze.

6. Was man daraus lernen kann

Meiner Meinung nach sollte man in Düsseldorf bei dem bisherigen, schon in beachtlichem Maß elaborierten religionskundlichen Ansatz bleiben und ihn in der Weise fortentwickeln, daß sich auch muslimische religiöse Richtungen und Gemeinschaften leichter auf ihn einlassen können. Bei günstigem Verlauf könnte dies auf einen kommunikativ-offenen, auf innere Vielfalt und Diskursivität angelegten und dabei wesentlich pädagogisch-staatlichen Islamunterricht als Normalfall hinauslaufen, mag man ihn nun „Religionskunde“ oder „Religionsunterricht“ oder wie auch immer nennen. Auf längere Sicht sollte so auf eine Überwindung der gegenwärtigen modellmäßigen Polarisierung von Religionsunterricht und Religionskunde hingearbeitet werden. Ein derartiges integratives Konzept versuchsweise weiter zu konkretisieren und nach erfolgreicher Erprobung zur Dauerlösung zu machen, liegt nach den Urteilen des VG Düsseldorf und des OVG Münster nahe, es sei denn, man will einen harten und intransigenten konfessionalistischen Standpunkt einnehmen (was bisher zu gar nichts geführt hat).

Etwas stärker religiös akzentuierte Ansätze à la Niedersachsen und Erlangen mögen parallel dazu ausprobiert werden. Sie sind mit dem nordrhein-westfälischen Konzept bei Lichte besehen nicht unvereinbar. Über kurz oder lang mag sich vielmehr eine konvergente Entwicklung ergeben. Wichtig ist dabei vor allem, daß die pädagogisch-schulische Staatsfunktion nach Art. 7 Abs. 1 GG auch für diesen Bereich wiederentdeckt und kräftig ins Spiel gebracht wird – weit stärker, als es konservative Kirchenjuristen erlauben wollen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient im Rahmen der Versuchsagenda die Frage, wie man mit den Bemühungen um eine direkte Beteiligung muslimisch-religiöser Kräfte und Gruppen vorankommen könnte. Daß eine derartige curriculare Öffnung und Partizipation überhaupt möglich und auch wünschenswert ist, scheint mittlerweile konsensfähig. Vor oberflächlichen, auf irgendwelchen momentanen Stimmungen beruhenden Lösungen wird man sich allerdings hüten müssen, auch nach dem 11. September 2001. Auch wird man versuchen müssen, konzeptionelle Schwankungen und Widersprüche zu vermeiden, wie sie im politischen Raum etwa in der Kopftuch-Debatte zu beobachten sind, oder in dem in Nordrhein-Westfalen ausgebrochenen Streit um islamische Privatschulen (König-Fahd-Akademie) und Schülerwohnheime. Darin macht sich wieder eine unterschwellige Fremdenfurcht bemerkbar, die man schon überwunden geglaubt hatte.

Wünschenswert wäre hier nun ein genuin schulisch und schulrechtlich inspirierter, d.h. von dem wohlverstandenen Bildungs- und Erziehungsauftrag der öffentlichen Schule ausgehender und dabei auch der Problematik von Migration, Minderheiteninteressen, Multireligiosität und Multikulturalität zugewandter weiterführender Ansatz. Hiernach kann es für authentische religiöse Stimmen und Strömungen einigen Raum geben, etwa nach Art des „Fenstermodells“, das in Berliner Diskussionen über eine Reform des Lernfelds Sinn- und Wertorientierung kürzlich eine Rolle gespielt hat (Kraft 2003). Dabei wird man allerdings darauf achten müssen, etwa vor der Tür stehende militante Islamisten für pädagogische Zwecke gewissermaßen zu zivilisieren und zu funktionsverträglichem Verhalten zu bewegen – oder aber herauszuhalten. Die Risiken von Tendenzpädagogik, Dequalifizierung, Ghettoisierung, Vermachtung wird man klar benennen und in den Griff bekommen müssen. Konfessionalistischen Einflüsterungen welcher Art auch immer sollte kein Gehör geschenkt, vielmehr sollte ihnen energisch entgegengetreten werden. Diskursfähigkeit im Sinne des Schulauftrags muß hier sozusagen zur Eintrittskarte werden.

Im übrigen sei noch einmal auf die sehr prinzipiellen und tiefliegenden islamischen antiinstitutionellen Dispositionen hingewiesen, und diese haben wohl auch etwas mit dem oft erhobenen Befund einer großen inneren Bandbreite und Zerklüftung der realen islamischen Religion zu tun. Zudem ist heute viel über Entwicklungsprobleme und darauf beruhende antimoderne Affekte und Abschließungstendenzen bei dieser alten Großreligion zu hören. Damit hängt auch der beklagenswerte Umstand zusammen, daß es auf muslimischer Seite wohl noch keine unseren Gewohnheiten und Anforderungen entsprechende, genügend entfaltete moderne Religionspädagogik gibt. Solche Schwierigkeiten mögen nun durch lockere taktische Arrangements, Stillhalteabsprachen und Zweckallianzen fürs erste zu verdecken sein, damit wäre es indes auf die Dauer nicht getan. Selbst wenn es demnächst in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, ähnlich wie in Erlangen und Niedersachsen, doch noch zu einer taktisch-situativ motivierten Einigung am Runden Tisch käme, wäre damit noch keine Formation gegeben, die tatsächlich fähig wäre, einen islamischen Religionsunterricht als substantiell pädagogisches und öffentlich-schulisches ordentliches Lehrfach zu konzipieren, mit dem Staat abzustimmen und dauerhaft mitzutragen.

Unter diesen Umständen kommt es entscheidend darauf an, daß auf deutscher Seite auch ein modernes und starkes, wissenschaftsgestütztes religionspädagogisches Potential an dem Vorhaben beteiligt ist. Der Staat sollte sich nicht auf allgemeine migrations- und integrationspolitische Dimensionen, staatsschützerische Vorkehrungen u.ä. beschränken, er sollte sich von dem entscheidenden pädagogischen Thema keineswegs abdrängen lassen. Eine qualifizierte Verständigung unter den in Betracht kommenden unterschiedlichen islamisch-religiösen Kräften und Strömungen müßte auf eine „binnenplurale“ Lösung (ein Begriff aus dem Medienrecht) abzielen, und für eine so verstandene „Einheit in Vielfalt“ ist ein entsprechendes pädagogisch-professionell zu Werke gehendes vermittelndes Potential allemal unentbehrlich. Das wäre dann sozusagen Integration auf pädagogisch.

Bei dieser Gelegenheit sei noch einmal in Erinnerung gerufen: In Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ist von einer Übereinstimmung nicht mit den Religionsgemeinschaften selbst, sondern nur mit deren Grundsätzen die Rede. Wie sich die Entscheidungskompetenz für den Inhalt der Grundsätze und für die Übereinstimmung von Curriculumelementen mit ihnen in concreto verteilt, bleibt dem Wortlaut nach offen. Der Sache nach ist hier Raum für ausbalancierte reformerische Lösungen, wie sie insbesondere in der heutigen Religionspädagogik diskutiert werden (etwa Lott 1992; Lähnemann 1998; Wegenast 1999; Schlüter 2000; Göllner 2003). Ich gehe in meiner diesbezüglichen rechtlichen Argumentation von Überlegungen meines Vaters Hans Stock aus, der schon seit den 1950er Jahren zeitgenössische Göttinger erziehungswissenschaftliche Lehren von der „relativen pädagogischen Autonomie“ aufgegriffen und in religionspädagogischem Zusammenhang fruchtbar gemacht hat, übrigens ganz im Einklang mit damaligen evangelisch-landeskirchlichen Positionen.

Was das öffentlich-schulische Engagement betrifft, so bleibt zu wünschen, daß eine vom Staat bereitgestellte und legitimierte und nichtsdestoweniger pädagogisch selbstständige, zuoberst am Schulauftrag orientierte praktische Kompetenz in Erziehung und Unterricht als hauptsächliches Steuerungspotential anerkannt wird. Der darauf beruhende materiell-öffentliche Charakter und Integrationsauftrag der Schule sollte schärfer herausgearbeitet werden, und er wäre mit Nachdruck ins Spiel zu bringen, etwa so, wie es in den Modellversuchen mit einer „Selbstständigen Schule“ intendiert wird (Stock 2002). Auf diese Weise lassen sich auch die immer noch umlaufenden sachfremden juristischen Doktrinen entkräften, die dem Staat in religiös relevanten curricularen Dingen eine schwächliche negative Neutralität auferlegen wollen. Anstelle derartiger rückwärtsgewandter Lehren können dann differenziertere Konzepte zum Zuge kommen, wie sie in der neueren Religionspädagogik gang und gäbe sind.

7. Ausblick

Wer das (am Maßstab des Kindeswohls) Gute an der deutschen Nachkriegstradition des Religionsunterrichts in der heutigen Lage bewahren und revitalisieren will, der wird sich mehr als bisher für religionskundliche Elemente einsetzen müssen. Das große Thema beginnt nämlich sozusagen die Seite zu wechseln. Wer ehedem, etwa gegenüber der NS- oder der DDR-Staatlichkeit, für einen kirchennahen Bekenntnisunterricht eingetreten ist, wird heute mehr auf den wohlverstandenen staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag setzen müssen. Der Islamunterricht scheint insoweit zu einer Pionierrolle zu gelangen. Bei alledem sollte, um es noch einmal zu sagen, auch auf die Einbeziehung und bildungsadäquate direkte Beteiligung islamisch-religiöser Kräfte hingearbeitet werden. Auf letzteren Punkt richtet sich das Interesse in den heute entstehenden pragmatischen, oftmals noch unsicheren rechtlichen Liberalisierungskonzepten und den daran anknüpfenden Pilotprojekten – leider manchmal nur auf ihn. Zu hoffen bleibt aber, daß sich die Verfechter solcher primär pro-religiöser und pro-islamischer Konzepte dem Gespräch nicht verweigern und daß sie den säkularen und pädagogischen Notwendigkeiten künftig stärker Rechnung tragen.
 

Literatur

Anger, Thorsten: Islam in der Schule. Berlin 2003
Arbeitsgruppe „Kirchenrecht und Staatskirchenrecht“ an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Heidelberg: Empfehlung zum islamischen Religionsunterricht. In: epd-Dokumentation 32/2002, S. 30 ff.
Bauer, Thomas u.a. (Hg.): Islamischer Religionsunterricht: Hintergründe, Probleme, Perspektiven. Münster 2004
Emenet, Axel: Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen. Frankfurt a.M. 2003
Gebauer, Klaus: Religiöse Unterweisung für Schülerinnen und Schüler islamischen Glaubens in den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen (1979-1995). Hg. vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung. Soest 1995
Göllner, Reinhard: Religionspädagogische Perspektiven einer ökumenischen Kooperation in der Schule. In: Beyer, Franz-Heinrich (Hg.): Religionsunterricht in den Wandlungsprozessen der Lebenswelt. Waltrop 2003, S. 35 ff.
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