F. Zu den konzeptionellen Grundlagen des Regierungsentwurfs eines Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen - Landtags-Drucksache 13/2368: Schriftliche Stellungnahme für den Medienausschuß des Landtags Nordrhein-Westfalen zu der Anhörung am 6.5.2002

1. Deregulierung? Selbstregulierung?

Das neue Landesmediengesetz Nordrhein-Westfalen (LMG NRW) soll den sich verändernden Rahmenbedingungen im Zeichen von Digitalisierung und Konvergenz Rechnung tragen. Seit der Rede von Ministerpräsident Clement in der medienpolitischen Landtagsdebatte am 14.2.2001 wird vielerorts gern von „Deregulierung“ und „Selbstregulierung“ gesprochen. Im politischen Raum macht sich ein Pathos der Modernität und Erneuerung bemerkbar, das sich in der Befürwortung „neuer Freiheitsräume“ insbesondere auf der Anbieterseite ausdrückt. Dem Rundfunkgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LRG NW) von 1987 liegt in dieser Sicht ein regulatorischer Ansatz zugrunde, der sich heute als bürokratisch beengt und veraltet darstellt. Darum will man das LRG nicht erneut novellieren, sondern durch das LMG ersetzen.
Die programmrechtlichen Bindungen will man dabei lockern. Der gesetzliche Programmauftrag soll – bis auf einen mehr symbolischen Restbestand in § 2 LMG – entfallen, desgleichen die binnenpluralen Programmgrundsätze für Vollprogramme. Im Zulassungsverfahren sollen konkrete gebietsbezogene programmliche Anforderungen keine Rolle mehr spielen („Führerscheinprinzip“). Bei der nachfolgenden Zuweisung von Übertragungskapazität sollen noch gewisse vielfaltfördernde Vorrangkriterien Platz greifen, dies allerdings nur bei Kapazitätsmangel. Noch stärker soll die Belegung digitalisierter Kabelanlagen dereguliert werden. Neu sind Bestimmungen über Konzentrationsgrenzen, die auf ein regionales Verlegerfernsehen gemünzt sind und insoweit noch ein gewisses Maß an struktureller Vielfalt sichern sollen. In der Einbeziehung von „Mediendiensten“ in das LMG drückt sich im übrigen wohl die Vorstellung aus, unter Konvergenzgesichtspunkten stehe über kurz oder lang ein allgemeiner ordnungspolitischer Paradigmenwechsel an, und in dieser Richtung könne man heute schon einen ersten größeren Schritt tun: weg vom bisherigen rundfunkspezifischen Regulierungsmodell und hin zu einer presseähnlich-marktmäßigen Nicht- bzw. Selbstregulierung.

2. Was sagt das Grundgesetz dazu?

Ich habe gegen das Gesetzesvorhaben auf einer kirchlichen Fachtagung in Dortmund am 15.1.2002 in einer Diskussion mit Marc Jan Eumann einige prinzipielle Einwände geäußert und hinter dem genannten Reformansatz als ganzem – vor allem in verfassungsrechtlicher Hinsicht – ein Fragezeichen angebracht. (Der Beitrag ist abgedruckt in epd medien Nr. 6/2002, S. 5 ff.) Dort habe ich näher dargelegt, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Karlsruher funktionalen Auslegung für den Rundfunkbereich nach wie vor, auch bei Kapazitätsüberfluß, eine wirksame programmliche Qualitäts-, insbesondere Vielfaltssicherung erfordert. Dem liegt das Konzept der Rundfunkfreiheit als öffentlich-„dienender“ Freiheit zugrunde. Im Blick auf weitreichende meinungsbildende und bewußtseinsprägende Wirkungen der Nutzung von Rundfunkprogrammen – gerade auch von massenattraktiver Unterhaltung – beharrt das Bundesverfassungsgericht auch in der Ära der neuen Techniken auf diesem funktionalen Grundrechtskonzept und erstreckt es auch auf den privat-kommerziellen Sektor. Damit will es erreichen, daß im dualen System ein fairer, beiderseits förderlicher publizistischer Wettbewerb möglich wird. Beim Privatrundfunk können die regulatorischen Anforderungen danach etwas geringer bemessen werden als beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, etwa so, wie es in §§ 11 ff. LRG NW einerseits und §§ 4 ff. WDR-G andererseits geschehen ist. Sie dürfen aber nicht so weit zurückgenommen werden, daß sie faktisch wirkungslos bleiben und nur noch symbolischen Charakter haben. Rundfunkprogramme dürfen auch nicht ohne weiteres mit sonstigen an die Allgemeinheit gerichteten Informations- und Kommunikationsdiensten gleichbehandelt und zu Deregulierungszwecken in einen Topf geworfen werden. Vielmehr sind funktionale Differenzierungen angezeigt, wie sie in der neueren rundfunkrechtlichen Literatur mit Begriffen wie „abgestufte Regelungsdichte“ oder „dienstespezifische Diversifizierung“ bezeichnet werden.
Vollends neben der Sache läge verfassungsrechtlich gesehen die Vorstellung, das bisherige pressespezifische Marktmodell könne nach und nach im gesamten Medienwesen zum Standardmodell avancieren. Nach den damit gemachten schlechten Erfahrungen wäre es auch nicht angängig, kurzerhand auf Selbstregulierung zu setzen und den verbindlichen rechtlichen Rahmen solcher neuen Freiräume zu vernachlässigen. Daß es sich bei Fremd- und Selbstregulierung nicht um eine einfache Alternative handeln kann, wird von klarsichtigen Autoren mit dem Doppelbegriff „regulierte Selbstregulierung“ zum Ausdruck gebracht. Dabei bedarf gerade auch das regulatorische Element besonderer Aufmerksamkeit, denn es soll nach diesem differenzierten Ansatz eine funktionsgerechte Selbststeuerung ermöglichen und dysfunktionale Verläufe ausschließen. Dem Grundgesetz in der Karlsruher Auslegung entspricht demnach nur ein Steuerungsmodell, wie es bei Lichte besehen auch schon dem geltenden Landesrundfunkrecht zugrunde liegt, nämlich eine publizistisch-professionell betriebene Selbststeuerung im Rahmen strukturell wirksamer vielfaltssichernder gesetzlicher Vorgaben, zumal qualitätsorientierter normativer Leitlinien wie derjenigen der §§ 11 ff. LRG NW. Dazu gehört dann auch eine gesellschaftlich-öffentliche Kontrolle, welche diese Maßstäbe fortlaufend konkretisiert und die so geforderten Programmstandards auch tatsächlich gewährleistet.

3. Einige Schwierigkeiten mit dem Gesetzesvorhaben

Ob der LMG-Entwurf den eben umrissenen Grundsätzen entspricht, erscheint mir in einigen Punkten zweifelhaft. Der Entwurf geht anscheinend noch von einem ungebrochenen medientechnologischen Fortschrittsglauben aus, wie er in der Blütezeit der New Economy üblich war, und er läuft im Kern auf ein mehr stimmungsmäßiges, kritischer Analyse dringend bedürftiges Deregulierungsmotiv hinaus. Dies angesichts eines beginnenden Umbruchs der Medienlandschaft, der von Namen wie Murdoch und Berlusconi geprägt ist und über kurz oder lang zu neuartigen Qualitätsrisiken führen und Konzentrationsschübe bisher unbekannter Größenordnung mit sich bringen könnte. In dieser Lage den qualifizierten Programmauftrag (bisher § 11 LRG NW) für entbehrlich zu erklären, erscheint überraschend und wenig plausibel. Gleiches gilt für die Zurücknahme konkreter programmlicher Vielfalterfordernisse im Interesse stärkerer Marktorientierung. Wichtige normative Qualitätskriterien werden in einer Zeit abgeschwächt oder ganz aufgegeben, in der sie eigentlich noch dringender als vorher benötigt würden. Soweit sie noch beibehalten werden, wird ihre praktische Anwendung und Durchsetzung zudem durch das Führerscheinprinzip in Frage gestellt. Alledem scheint die trügerische Annahme zugrunde zu liegen, auf längere Sicht werde sich Vielfalt durch größere Vielzahl wie von selbst ergeben.
Das könnte darauf hinauslaufen, daß die Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LfR) – künftig Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) – als qualitätssichernde Instanz immer schwächer wird und endlich ganz ausfällt. Mit der Aufgabe der Qualitätsvorsorge aber würde die Anstalt ihre hauptsächliche Legitimation verlieren. Wenn Programmqualität kein Thema mehr ist, bedarf es auch nicht länger eines auf Qualitätssicherung angelegten umfänglichen Steuerungsaggregats bisheriger Art. Auch die gesellschaftliche Kontrolle wäre dann weitgehend funktionslos. Die – für sich gesehen beachtlichen – Bemühungen des Gesetzentwurfs um eine Gremienreform würden insoweit ins Leere gehen. Sie scheinen vorauszusetzen, daß wirksame materiale und prozedurale qualitätssichernde Vorkehrungen beibehalten und im Blick auf den technisch induzierten Wandel weiterentwickelt werden und daß die LfM darin auch künftig ihre Hauptaufgabe haben soll. Diese Voraussetzung ist jedoch nach den ersten Abschnitten des Entwurfs nicht mehr dauerhaft gegeben. Das Ganze erscheint mithin widersprüchlich oder jedenfalls provisorisch und konfliktträchtig, es wirkt konzeptionell ziemlich unausgereift.
Über einzelne Schwachpunkte und denkbare Verbesserungen des Gesetzentwurfs habe ich auf der Dortmunder Tagung einiges Nähere gesagt. Zur Vermeidung von Wiederholungen beschränke ich mich hier auf ein paar pointierte Bemerkungen und Änderungsvorschläge und verweise im übrigen auf meinen Dortmunder Beitrag, den ich in der Anlage beifüge.

4. Wo bleibt der qualifizierte Programmauftrag?

In § 11 LRG NW, der (wie gesagt, mit gewissen Abstrichen) § 4 WDR-G nachgebildet ist, drücken sich wesentliche verfassungsrechtliche Vorgaben für den Privatrundfunk aus: Auch er soll „als Medium und Faktor des Prozesses freier Meinungsbildung ... Sache der Allgemeinheit“ sein. Er wird auf Meinungsbildungsfreiheit als obersten Richtwert verpflichtet, was zur Folge hat, daß die Medienfreiheit auch auf dem privaten Sektor grundsätzlich öffentlich-funktional verstanden und ausgestaltet wird. Dadurch soll einerseits Meinungsvielfalt, andererseits aber auch gegenständliche Vielfalt (Information/Bildung/Beratung/Unterhaltung) gewährleistet werden. Das Gesetz besteht dabei für Vollprogramme auf NRW-spezifischen Gebietsbezügen und denkt auch dem kommerziellen Rundfunk einen in einem weiteren Sinn „kulturellen Auftrag“ zu. In den Programmgrundsätzen des § 12 LRG NW wird dieser Ansatz weiter entfaltet, mit Schwerpunkt auf einem leistungsfähigen Informationsjournalismus, wie er nach § 12 Abs. 3 jedem Vollprogramm je für sich obliegt (strikte Binnenpluralität). Hiermit steht übrigens auch die journalistische Eigenverantwortung nach § 13 LRG NW im Zusammenhang, die durch die regulatorisch anspruchsvollen Programmstandards bedingt wird. Dadurch wird auch ein Stück innere Medienfreiheit als zusätzliches, strukturell wirksames Konzept der Qualitätssicherung konstituiert und ins Spiel gebracht.
Die eigene journalistische Verantwortung hat im LMG-Regierungsentwurf – nachdem sie in einer früheren Entwurfsfassung schon verschwunden war – schließlich doch noch überlebt (§ 32), sie ist allerdings wesentlicher Rahmenbedingungen und Stützpfeiler verlustig gegangen. Reine Binnenpluralität wird auch von Vollprogrammen nicht mehr verlangt (vgl. § 31). Auch einen Programmauftrag bisheriger Art sucht man jetzt vergebens. Im ersten Entwurf war davon gar nichts mehr übriggeblieben. In den Regierungsentwurf ist dann ein bescheidener Rest des alten § 11 wieder eingefügt worden, und zwar in Gestalt des „Grundsatzes“ des § 2 Satz 2, wonach „Rundfunk und Mediendienste gleichermaßen Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung auch bei der Einführung digitaler Techniken sind“. Von den Grundsätzen des § 2 soll sich der Begründung (S. 64) zufolge die Auslegung und Anwendung der Normen des LMG leiten lassen. Die Vorschrift besagt indes nichts mehr über gegenständliche Vielfalt, Gebietsbezüge und Kulturauftrag i.w.S. Dergleichen will man wohl im Zeichen der erwähnten Technikgläubigkeit und Markteuphorie vom Privatrundfunk (anders als vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk) nicht mehr verlangen – verfassungsrechtlich ein sehr exponierter, m.E. unhaltbarer Standpunkt. Die „Medium- und Faktor-”Formel ist zwar reanimiert worden, bei ihrer Einfügung hat man aber vergessen, sie explizit auf „freie“ Meinungsbildung zu beziehen (der grundrechtliche Kernpunkt!). Sie wird nun auf Digitalisierung und neue Mediendienste fokussiert, was an sich interessant und löblich ist. Das „gleichermaßen“ erscheint hier aber doch wohl eher rhetorisch (es geht um funktionsadäquat variierte Regelungsinhalte und -dichtegrade). Im übrigen bleibt ungewiß, ob und wie § 2 LMG nach dem neuen Verfahrensreglement eigentlich noch operationalisiert werden könnte.
§ 2 LMG mag nun punktuell nachgebessert werden. Das reicht allerdings allein nicht aus, vielmehr sollte im Programmrecht der qualifizierte Programmauftrag zur Gänze wiederhergestellt werden, desgleichen die binnenpluralen Programmgrundsätze für Vollprogramme. Daraus ergeben sich folgende Korrekturempfehlungen:

– In § 2 LMG sollte „gleichermaßen“ gestrichen und von der „freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung“ gesprochen werden.

– Vor § 31 LMG sollte eine mit § 11 LRG NW gleichlautende Bestimmung eingefügt werden.

– § 31 LMG sollte § 12 Abs. 1-4 LRG NW in vollem Umfang entsprechen..

5. Das Führerscheinprinzip – ein riskantes Novum

Mit den eben vorgeschlagenen Änderungen ist es noch nicht getan. Wenn das Programmrecht in Abschnitt V LMG dem Wortlaut nach aufgewertet und nachgebessert wird, heißt das noch nicht, daß es im Programmalltag auch tatsächlich zum Zuge kommt. Es hängt vielmehr in der Luft und bleibt ineffektiv, solange nicht dafür gesorgt ist, daß es nach den Abschnitten II ff. LMG für die Praxis wirklich prägend werden kann. Hier aber gibt es ein großes Fragezeichen: Steht dem nicht das Führerscheinprinzip im Weg?
Diese aus anderen Bundesländern stammende, etwas modische Neuerung besteht in der generellen Abkoppelung der Zulassung privater Veranstalter von der Zuweisung von Übertragungskapazität, wobei eine am Programmrecht orientierte, entscheidungsrelevante prognostische programmliche Vielfalts- und sonstige Qualitätsprüfung kaum noch möglich ist. Auf der ersten Stufe (Zulassung, Abschnitt II LMG) findet sich von einer derartigen präventiven Qualitätssicherung gar nichts mehr. Bezüglich der zweiten Stufe (Übertragungskapazitäten, Abschnitt III LMG) gerät der Leser des Entwurfs in eine Anzahl von Unterabschnitten, welche ziemlich unübersichtlich und fast labyrinthisch wirken. In der – diesmal besonders wortkargen – amtlichen Begründung wird der dortige Regelungszusammenhang nicht weiter erläutert. Er hat denn auch in der bisherigen öffentlichen Diskussion noch nicht genügend Beachtung gefunden und bleibt oftmals unverstanden. Dies ist jedoch der Hauptschauplatz der Düsseldorfer Deregulierungsbemühungen, und hier lauern für Programmauftrag und Programmgrundsätze große Gefahren.
In den Unterabschnitten 2 und 3 des Abschnitts III LMG findet man eine in dieser Anordnung neuartige, an die Kapazitätszuweisung anknüpfende Schicht von Regularien, welche in der verfahrenslogischen Abfolge zwischen Zulassungs- und Weiterverbreitungsrecht eingeschoben sind. Sie enthalten auch einige inhaltliche Elemente dieser beiden bisherigen Teilmaterien, freilich mit Veränderungen, welche einigermaßen riskant erscheinen und besondere Aufmerksamkeit verdienen.

6. Für eine auf die programmlichen Anforderungen bezogene Zulassungsvoraussetzung

Da ist zunächst die Zuweisungsvoraussetzung des § 13 Abs. 1 LMG, wonach die Veranstalter, um an eine terrestrische, Satelliten- oder Kabelkapazität zu gelangen, „erwarten lassen (müssen), daß sie jederzeit wirtschaftlich und organisatorisch in der Lage sind, die Anforderungen an die antragsgemäße Verbreitung des Programms zu erfüllen“. Dem ähnelt die bisherige Zulassungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 3 LRG NW. Ihr zufolge bezieht sich die Beurteilung der wirtschaftlichen und organisatorischen Leistungsfähigkeit von Bewerbern allerdings explizit auf „eine Rundfunkfunkveranstaltung, die anerkannten journalistischen Grundsätzen genügt“. Von hier aus konnte in der Zulassungspraxis der LfR die Brücke zu § 12 Abs. 4 Satz 1 LRG NW geschlagen und kraft Sachzusammenhangs auch das sonstige materielle Programmrecht als Maßstab der Leistungsprognose ins Spiel gebracht werden. Ob auch die Neufassung solche Querverbindungen zuläßt, erscheint nun ungewiß. (Sind „die Anforderungen“, denen die Veranstalter danach gewachsen sein müssen, auch diejenigen des § 31 LMG? Ggf. auch mit den oben 4. vorgeschlagenen Verschärfungen?) Manches spricht für die Annahme, daß ein derartiger etwas strengerer regulatorischer Zugriff vom Gesetzgeber nicht mehr gewünscht wird oder jedenfalls faktisch nicht mehr praktikabel wäre.
Dafür kommt es auf bestimmte meist unausgesprochene Eigentümlichkeiten und medienstrukturelle Weiterungen des Führerscheinprinzips an, wie ich sie in meinem Dortmunder Beitrag aufgezeigt habe. Danach läuft die hiesige Liberalisierung des Zulassungsverfahrens darauf hinaus, daß von vornherein eine – nachher kaum noch korrigierbare – neoliberale Weichenstellung vorgenommen wird, kurz gesagt: weg von der funktional-„dienenden“ Freiheit, hin zu einer presseähnlichen Marktrundfunkfreiheit. In den §§ 4 ff. LMG beginnt also schon der Aufbruch ins marktmäßige Posthistoire. Das ist ein Paradigmenwechsel, welcher durch die Regularien des Abschnitts III LMG vielleicht fürs erste ein wenig verlangsamt und abgemildert werden könnte – nicht aber kann und soll er dadurch so weit abgebremst werden, daß wir wirklich in der Kontinuität des bisherigen Regulierungsmodells bleiben.
Meiner Ansicht nach wäre ein derartiger prinzipieller Wechsel aber verfassungsrechtlich bedenklich und ordnungspolitisch fragwürdig. In der Konsequenz des oben 4. Gesagten liegt vielmehr die Forderung, den qualifizierten Programmauftrag und die binnenpluralen Programmgrundsätze auch verfahrensmäßig stark zu machen, nämlich in Gestalt (nicht nur einer Kapazitätszuweisungs-, sondern) einer Zulassungsvoraussetzung, bei deren Formulierung der genannte programmrechtliche Konnex jetzt auch ausdrücklich aufgenommen und betont werden sollte. Daraus ergibt sich folgende Änderungsempfehlung:

– § 13 Abs. 1 LMG sollte gestrichen werden. Statt dessen sollte in § 5 LMG nach Abs. 2 ein neuer Absatz mit folgendem Wortlaut eingefügt werden:

„Zugelassen werden dürfen nur Antragsteller, die erwarten lassen, daß sie jederzeit wirtschaftlich und organisatorisch in der Lage sind, eine Rundfunkveranstaltung durchzuführen, die den programmlichen Anforderungen dieses Gesetzes entspricht.“

7. Die Vielfaltskriterien des § 14 LMG – ein schwach entwickeltes Provisorium

Im bisherigen Recht gibt es neben §§ 11 ff. i.V.m. § 5 auch noch einige weitere wichtige qualitäts-, insbesondere vielfaltsrelevante Normen, so im Zulassungsrecht die binnenstrukturell ansetzenden Vorrangregeln des § 7 Abs. 2 Satz 2 und im Weiterverbreitungsrecht die mit diversen Vielfaltparametern angereicherten, im wesentlichen außenplural konzipierten programmlichen Rangfolgebestimmungen des § 41 Abs. 2 LRG NW. Etwas davon kehrt im LMG auf der neuen Zwischenebene der §§ 12 ff., also auf der zweiten Stufe i.S. des Führerscheinprinzips, wieder, freilich in einer erheblich veränderten, durchaus problematischen Ausgestaltung.
Zunächst sei festgehalten: Diese zweite Stufe wird regulatorisch relevant, solange und soweit es noch Kapazitätsengpässe und entsprechende Vorrangentscheidungen gibt. Dann und nur  dann wird noch ein gewisser über das bisher Gesagte hinausgehender rundfunkspezifischer Gestaltungsbedarf gesehen. Die erwähnte Technik- und Markteuphorie wirkt sich also dahin aus, daß eine vorsorgliche landesrechtliche Qualitätssicherung, von § 13 LMG abgesehen, überhaupt nur noch übergangsweise betrieben werden soll. (Bis auf § 33 LMG, der indes einen spezielleren, relativ marktnahen Zweck – Konzentrationsbegrenzung – verfolgt und sich dabei besonderer Mittel – Quotierung – bedient, welche hier nur indirekt einschlägig sind.) Sie wird anscheinend als eine Art Provisorium und Hilfslösung verstanden, irgendwo im Vorfeld einer als mittelfristig möglich und prinzipiell vorzugswürdig erachteten funktionsfähigen Marktsteuerung.
Daraufhin werden in § 14 LMG einige alte und neue Vielfaltskriterien aufgeführt, mehr oder minder unübersichtlich und unsystematisch aneinandergereiht und der LfM dergestalt als Abwägungskriterien für ggf. nötige Auswahlentscheidungen unter mehreren um knappe Kapazitäten konkurrierenden ;Führerscheininhabern’ an die Hand gegeben. Sie sollen für die Verbreitung von Rundfunkprogrammen durch terrestrische Sender und Satelliten sowie analoge Kabelanlagen gelten, letzteres im Umfang von höchstens 15 Kanälen (neben den must-carry-Anteilen und sonstigen Kontingenten nach § 18 LMG). Für die Belegung digitalisierter Kabelanlagen sollen sie dagegen nicht mehr einschlägig sein. § 21 LMG übernimmt hierfür vielmehr die noch stärker deregulierten, bundesweit maßgeblichen Vorgaben des § 52 RStV. In dem gedachten Endstadium digitalen technischen Überflusses kommt das Führerscheinprinzip mithin sozusagen zu sich selbst. In jenem fernen Schlaraffenland sollen auch die bisherigen Verkehrsregeln entbehrlich werden.
Vielleicht erklärt sich so auch der Umstand, daß man auf ihre nähere Ausformung für die Zwischenzeit nicht mehr allzuviel Mühe verwandt hat. Die vermeintliche Interimsperiode kann allerdings, wie die jüngsten Geschehnisse in der Kabelbranche erkennen lassen, ziemlich lang werden. Darum sollten Möglichkeiten und Grenzen einer Vielfaltsgewährleistung nach § 14 LMG doch wohl genauer bedacht werden – eventuell müssen wir damit noch jahrzehntelang leben. Dabei gehe ich hier einmal davon aus, daß zunächst die oben 4. und 6. gemachten Änderungsvorschläge durchdringen, die darauf abzielen, programmrechtliche Standards im Karlsruher Sinn von vornherein stärker ins Spiel zu bringen. Ohne dies wäre das neue Design evident unzulänglich. Wie verhält es sich nun aber, falls obige Anregungen Gehör finden?

8. Zur Nachbesserung des § 14 LMG

Auch in letzterem Fall bleibt eine bessere begriffliche und systematische Durcharbeitung der Unterabschnitte 2 ff. des Abschnitts III LMG wünschenswert, zumal eine Präzisierung von Inhalt und Stellenwert des § 14. Dazu hier nur ein paar Stichworte:
Das unbestimmte, schlicht-summative Nebeneinander von „Programmvielfalt“ und „Anbietervielfalt“ sollte bereinigt werden, indem ersterer Begriff in den Vordergrund gerückt und weiter entfaltet wird. Programmvielfalt umfaßt nicht nur Meinungsvielfalt (so aber § 14 Abs. 1 Satz 2), sondern auch (wie in § 14 Abs. 2 wohl gesehen und vorausgesetzt wird) verschiedene andere Vielfaltparameter, insbesondere denjenigen der gegenständlichen Vielfalt (Information/Bildung/Beratung/Unterhaltung). Diese sollten nicht nur aufgezählt, sondern auch zueinander ins Verhältnis gesetzt und gewichtet werden. Dafür wäre an Programmauftrag und Programmgrundsätze anzuknüpfen, in denen solche Komponenten ja ebenfalls vorkommen und bereits etwas besser geordnet sind.
Entsprechendes gilt für das Verhältnis von binnen- und außenpluralen Vielfaltdimensionen: Auch insoweit sollte es nicht bei dem jetzigen locker-pragmatischen, im näheren unklaren Nebeneinander bleiben. Vielmehr verdient Binnenpluralität m.E. grundsätzlich den Vorzug – so kann Programmqualität bei wachsender Vielzahl der Angebote von bloßem „more of the same“ unterschieden, in concreto dingfest gemacht und gefördert werden. Soweit Abschnitt V LMG dafür verbindliche programmrelevante Maßgaben enthält, sollten entsprechende Vielfaltkonstellationen den jeweiligen Bewerbern in der Abwägung Pluspunkte einbringen.
Darüber hinaus ist zu überlegen, ob essentielle Kriterien des Abschnitts V nicht – über das zu 4. und 6. Gesagte hinaus – in verbindliche, dauerhaft geltende zusätzliche Zuweisungs- (§ 13 LMG) oder, noch besser, Zulassungsvoraussetzungen (§ 5 LMG) umgesetzt werden sollten, über einen Bonus bei Vorrangentscheidungen hinaus. Auch das läge auf der hier verfolgten Linie einer grundsätzlichen Kritik und Relativierung des Führerscheinprinzips.
Auf den bei politischen Akteuren neuerdings beliebten, rechtlich gesehen aber substanzlosen Ausdruck „Anbietervielfalt“ sollte verzichtet werden. Von ihm sind, wie die seltsame Kasuistik in § 14 Abs. 3 LMG erkennen läßt, keine weiterführenden Gesichtspunkte zu erwarten. Mit „publizistischer Vielfalt“ mag in diesem Absatz eine Anzahl richtungsmäßig unterschiedlich geprägter, jeweils heteronom-tendenzgebundener Angebote im Rahmen eines außenpluralen Schemas gemeint sein. Nachfolgend handelt der Absatz von Begrenzungen und Korrekturen solcher Tendenzpublizistik z.B. durch anders tendierende gesellschaftliche Kräfte (in Programmbeiräten), durch relativ autonomen Journalismus (innere Medienfreiheit) sowie durch selbständige Fensterprogramme. Das sind Bestandteile des üblichen binnenpluralen Repertoires, welche der Sache nach zu § 14 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 LMG gehören. Sie wären dort besser aufgehoben und sollten in die dortigen Maßgaben eingearbeitet werden.

9. Wie integriert dieses „Mediengesetz“ die Mediendienste?

In § 14 Abs. 4 LMG begegnet eine weitere merkwürdige Modeerscheinung: eine „Angebots- und Anbietervielfalt“, über deren Inhalt und Bedeutung lediglich Mutmaßungen möglich sind. Vielleicht soll „Angebot“ hier ein Oberbegriff für (Rundfunk-)„Programm“ und „Mediendienst“ sein, d.h. „Angebotsvielfalt“ wäre eine um sonstige an die Allgemeinheit gerichtete Informations- und Kommunikationsdienste (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 LMG) ergänzte „Programmvielfalt“. Das würde allerdings in der hiesigen, ohnehin vagen Typologie zu weiteren Komplikationen führen. Rundfunk und Mediendienste werden in der Vorschrift kurzerhand zusammengebracht, und zwar nur kumulativ – eine wie auch immer geartete übergreifende Idee und Systematik ist nicht zu erkennen. Damit wird das Thema nicht im mindesten ausgeschöpft. (Nebenbei bemerkt: „entsprechend“ sehnt sich nach einem Dativ – auch das bleibt in § 14 Abs. 4 vergebens.)
Dieser Befund beschränkt sich im übrigen nicht auf § 14. Überzeugende, kreative Lösungen für die Differenzierungs- und Konvergenzprobleme bei alten und neuen Diensten sind in dem Gesetzentwurf auch sonst selten. Eher führt die Einbeziehung von Mediendiensten zu bloßen Verwässerungen des rundfunkrechtlichen Herkommens, wie sie von interessierter Seite schon seit langem gefordert werden: Man bricht einfach in Richtung Presserecht auf. Unter diesen Umständen kann das neue Gesetz den emphatischen Anspruch, ein „Mediengesetz“ neuer Art zu sein, schwerlich erfüllen.

10. Das Projekt bleibt abenteuerlich

Wohlgemerkt geht es hier um eine ordnungspolitische Kehrtwendung, mit der man sich von den letzten Jahrzehnten nordrhein-westfälischer Medienpolitik definitiv verabschieden würde. Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht wäre das ein tiefer Einschnitt, und man wäre damit nicht mehr auf der sicheren Seite. Daran würde sich auch nicht viel ändern, wenn an dem Gesetzentwurf jetzt noch ein paar hastige Korrekturen geringerer Reichweite vorgenommen würden. Wenn man wirklich in der Kontinuität des Bisherigen bleiben wollte, müßte man wohl mehr tun. Denken wir nur noch einmal an jenes hypothetische Endstadium von Digitalisierung und Konvergenz:
Ein flott-libertäres Führerscheinprinzip in Verbindung mit einer ziemlich schlichten Quotierungs- und Marktdoktrin, wie sie sich in § 21 LMG (§ 52 RStV) ausdrückt – damit müßten wir dann alle vorliebnehmen. Dergleichen hätte mit der Public-Service-Idee nichts mehr zu tun. Letzteres war die große regulative Idee der frühen und mittleren Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, und von ihr wird der heutige Regulierungs- und Steuerungsdisput immer noch auf die eine oder andere Weise beeinflußt – daraus würde man sich jetzt aber irgendwie davonmachen und zu einer neuen Marktgläubigkeit übergehen, womöglich ohne klare Sicht auf die damit einhergehenden enormen Risiken („Digital Divide“, „Unterschichtfernsehen“, „Berlusconisierung“ usw.), die sich nicht auf den privaten Sektor beschränken würden. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte in jenem Milieu mit einigen Abenteuern zu rechnen.
Auf dem Katheder pflegen wir anzuraten: Ein Gesetzgeber, der sich zu einer derart weitreichenden Aktion anschickt, sollte diese erst einmal gründlich erwägen und vorbereiten. Er sollte sich um Möglichkeiten und Grenzen der Risikobeherrschung kümmern, alles dazu verfügbare Wissen heranziehen und auf dessen Vermehrung hinwirken, etwa per Planspiel, Gesetzesfolgenabschätzung u.ä., und er sollte solche Erkenntnisse dann umfassend auswerten, entsprechende breite Diskurse arrangieren und sich auch die dafür nötige Zeit nehmen. Alles dies wäre auch im hiesigen Fall nützlich, vor allem was die Deregulierung der Programmstandards und des Zulassungsverfahrens betrifft. Über medienstrukturelle Folgen und Fernwirkungen einer Einführung des Führerscheinprinzips wissen wir bisher zu wenig. In dieser Lage müßte man sich schon einen voluntaristischen Kick geben, um die fragliche Neuerung verfassungsrechtlich und rechtspolitisch gutzuheißen und zu befürworten. Dazu kann ich mich aber nicht bereitfinden.
 
 

(Die Anlage zu dieser Stellungnahme findet sich oben unter D.)

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