B. Statement zu der Anhörung des Ausschusses für Medienfragen des Niedersächsischen Landtags am 5.6.2001 über den Regierungsentwurf eines Niedersächsischen Mediengesetzes (NMedienG) Drucksache 14/2470

 

1. Ich möchte ein paar Bemerkungen zur Ausgestaltung des „Bürgerrundfunks“ im Dritten Teil des Gesetzentwurfs machen. In seiner Einbringungsrede hat der Ministerpräsident die Einführung des Regelbetriebs für den Bürgerrundfunk als die wichtigste Neuerung in dem Entwurf bezeichnet. Er hat dabei auf die in der Versuchsphase gemachten Erfahrungen hingewiesen, die überwiegend positiv gewesen seien. Andere Sprecher haben in der ersten Lesung an die Idee der „Konvergenz“ von „nichtkommerziellem lokalem Hörfunk“ (NKL) und „Offenen Kanälen“ (OK) (§§ 42 ff./46 ff. NdsLRG) erinnert, wie sie in letzter Zeit häufig verfochten worden ist. Auch ich habe mich für eine wohlverstandene Konvergenzidee ausgesprochen, zuerst in Loccum 1999.

2. Diese integrative Idee hat allerdings in dem Entwurf in Text (§§ 28-32) und Begründung (S. 53 ff.) noch nicht recht gezündet. Was darüber nunmehr schwarz auf weiß zu lesen ist, klingt nach einer lediglich äußeren, summativen Einheit von NKL- und OK-Elementen (vgl. § 28 I und III Nrn. 1 und 2 sowie § 30 I Nr. 4). Danach hat es den Anschein, als wolle der Entwurf die verschiedenen, ziemlich heterogenen Versuchsbestandteile unter Gesichtspunkten wie dem der Besitzstandswahrung irgendwie kombinieren und das Nähere dem jeweiligen Veranstalter bzw. der Landesmedienanstalt (NLM) überlassen.

3. Altbekannte OK-Prinzipien werden in § 31 im wesentlichen unverändert übernommen. Dabei wird auf die mittlerweile bundesweit geführte Diskussion über funktionelle Schwächen und innere Stillstände beim OK – gerade auch was die tatsächliche Zugangsweite und die breite gesellschaftlich-kulturelle Verankerung dieses Bürgermediums betrifft – weiter nicht eingegangen. Jener ältere partizipatorische Ansatz müßte heute aber m.E. gründlich überprüft und sozusagen von den Graswurzeln aus erneuert werden. So könnte er zu seinem Teil dazu beitragen, daß hier insgesamt etwas Neues und Attraktives entsteht. Dazu gehört auch ein Bemühen um mehr programmliche lokaljournalistische Konsistenz und innere Festigkeit. Vergesellschaftung und Professionalisierung müßten bei dem künftigen Konstrukt zusammengehen, unter Anknüpfung an Standards des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das professionelle Element mag hier mehr von der NKL-Seite kommen, die OK-Seite müßte es aber wirklich akzeptieren und von innen heraus rezipieren.

4. Denn reale Chancen für eine auf die Versuchserfahrungen aufbauende Dauerlösung gibt es wohl nur dann, wenn aus OK- und NKL-Elementen sowie sonstigen medienrechtlichen Formprinzipien ein journalistisch leistungsfähiger und dabei bürgernaher veritabler Lokalrundfunk wird. Wenn die Synthese wirklich gelingen und das Ganze vorankommen soll, werden dabei gerade auch die NKL-Komponenten beteiligt sein müssen, und sie werden sich in dem künftigen größeren Rahmen auch ihrerseits fortentwickeln müssen. NKL-Protagonisten mögen sich da und dort immer noch in der Nachfolge der Freien Radios wähnen und sich betontermaßen meinungsjournalistisch-alternativ und randständig geben. Wo noch solche älteren Haltungen vorkommen, wird man eine erhebliche Umstellung vor sich haben. Ein Bürgerrundfunk im Dauerbetrieb müßte nämlich realiter „bürgerlich“ werden, er müßte an Ort und Stelle im gesellschaftlichen Humus Wurzeln schlagen. Von entscheidender Bedeutung wäre dafür eine spezifische Professionalisierung auf dem Boden des Art. 5 I 2 GG in der Karlsruher Auslegung. Das neue, tunlichst bürgernahe Medium müßte zum „Medium und Faktor“ lokaler öffentlicher Kommunikation und freier Meinungsbildung im Sinn der Verfassungsrechtsprechung werden. Dies bedingt ein hohes Maß an innerer Vielfalt und sonstiger Programmqualität, wie es derzeit in der unauffälligen Verweisungsnorm des § 42 II NdsLRG angelegt ist. Weiter ausgebaut werden müßte auch die Garantie journalistischer Freiheit durch Redakteursstatute (§ 44 i.V.m. § 19 NdsLRG), als ein modernes Instrument der Qualitätssicherung verstanden.

5. In diesen essentiellen Fragen zeigt sich der Entwurf nun sehr zaghaft und unsicher. Das beginnt damit, daß der verfassungsrechtlich vorgegebene „Medium- und Faktor-”Auftrag (bisher § 42 II i.V.m. § 16 I NdsLRG) im Zweiten Teil des Gesetzes – auf den der Dritte Teil programmrechtlich Bezug nimmt – nicht mehr ausdrücklich genannt wird. Von einem „Programmauftrag“ ist jetzt überhaupt nicht mehr die Rede. Auch die daran anknüpfenden bisherigen landeseigenen „Programmgrundsätze“ (§ 18 NdsLRG) sind generell verschwunden. Insoweit wird nun kurzerhand auf den Rundfunkstaatsvertrag verwiesen, dessen einschlägige den bundesweit verbreiteten Rundfunk betreffende Bestimmungen (§§ 2a, 41 RStV) landesintern und auch für den Bürgerrundfunk entsprechend gelten sollen (§ 28 IV i.V.m. § 15 II 1). Der Ministerpräsident hat diese Streichungsmaßnahmen und Verweisungen als „vernünftige Verschlankung“ gerechtfertigt. Er sieht darin einen Schritt zur weiteren Deregulierung und Liberalisierung – ihm zufolge (neben der Einführung des Dauerbetriebs beim Bürgerrundfunk) das zweite Hauptziel des Entwurfs. Das allerdings muß uns aufhorchen lassen.

6. Oft sind heute Klagen über ein Übermaß von privat-kommerziellem Schmuddel-TV, Lachprogrammen, Emotainment, Unterhaltungsgewalt usw. zu hören. Auch Gabriel hat sich darüber kritisch geäußert, zuletzt bei der Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs. Er hat in der ersten Lesung neue Instrumente zur Durchsetzung der programminhaltlichen Anforderungen des Rundfunkstaatsvertrags als nötig bezeichnet. Das Problem liegt jedoch m.E. tiefer. Jene gemeinsamen rechtlichen Anforderungen an die private Programmqualität sind von den Ländern unter dem Druck wirtschaftlicher Interessen sehr zurückhaltend formuliert worden, sie sind ziemlich dünn und unsubstantiell gehalten und taugen schon darum nicht zum Maßstab einer energischeren Programmaufsicht. Im übrigen beschränken sie sich auf die nationale Ebene. Über gebietsbezogene besondere publizistisch-programmrechtliche Anforderungen an regionale und lokale Programme besagt der Staatsvertrag gar nichts. Und über dieses Manko wird man mittels analoger Anwendung nicht hinwegkommen. Um so weniger können die bloßen Verweisungen und Deregulierungsbestrebungen im Zweiten Teil des Entwurfs überzeugen. Sie könnten qualitätsmindernd zu Buche schlagen – was aber den Absichtserklärungen Gabriels zuwiderlaufen würde. Vollends widersprüchlich dann im Dritten Teil die Erstreckung solcher Deregulierungseffekte auf den Bürgerrundfunk, dessen gesetzliches Programmprofil unter diesen Umständen ebenfalls blaß bleibt. Das eine Hauptziel des Entwurfs (Deregulierung) kommt hier dem anderen (qualifizierter Bürgerfunk als Dauerlösung) doch wohl in die Quere.

7. Primäre Aufgabe des Bürgerrundfunks ist es nach dem Entwurf, „die lokale und regionale Berichterstattung sowie das kulturelle Angebot im Verbreitungsgebiet des Programms publizistisch (zu) ergänzen“ (§ 28 III Nr. 1). Eine derartige Komplementärfunktion erfolgreich wahrzunehmen und dauerhaft beizubehalten, wird nach Lage der Dinge nicht ganz einfach sein. Es handelt sich um eine durchaus prekäre, konfliktträchtige „Ergänzungs-” bzw. Gegensteuerungsaufgabe, bei der man es vor allem mit kommerziell betriebenen alten und neuen Medien zu tun bekommen wird. Gabriel scheint den Übergang zum Regelbetrieb beim Bürgerrundfunk als Teil einer öffentlichen Strategie der Qualitätsvorsorge zu begreifen, gerade auch angesichts der von ihm klar benannten Defizite im bisherigen dualen System, insbesondere beim kommerziellen Rundfunk. Dies hätte nun zum Anlaß werden können, Probleme und Chancen eines „trialen Systems“ – wie es in Niedersachsen und anderswo schon seit längerem in politischen Resolutionen und Medienpapieren herumgeistert – endlich einmal genauer zu prüfen. Leider wird dieses übergreifende Thema in dem Entwurf aber nicht weiter aufgearbeitet. Soweit hiernach überhaupt von einer „dritten Säule“ die Rede sein kann, wird diese absichtsvoll inmitten eines zunehmend durchkommerzialisierten Milieus plaziert, und man verstärkt den entsprechenden Boulevardisierungs- und Nivellierungsdruck auch noch selbst durch die erwähnten Deregulierungsschritte. Um solcher Konkurrenz standhalten zu können, müßte der Bürgerrundfunk von ungewöhnlich starker Konstitution sein. Er müßte einen präzisen und anspruchsvollen qualitätsorientierten lokalen Programmauftrag erhalten, und er müßte funktionell und strukturell so robust gemacht werden, daß er diesem Auftrag auch tatsächlich nachkommen könnte. Bei alledem bleibt der Entwurf jedoch auf halbem Wege stehen, oder es wird erst gar nicht ernstlich in Angriff genommen.

8. In institutioneller Hinsicht geht es dabei u.a. um den Einfluß von Zeitungsverlegern und Kommunen. Der Entwurf will ihnen den bisherigen NKL/OK-Bereich grundsätzlich öffnen, und er geht realistischerweise davon aus, daß dies ein ziemlich riskantes Vorhaben ist. Insoweit wird nun für die einzelnen Teilhaber je für sich ein 25-Prozent-Limit vorgesehen, das durch ein 50-Prozent-Limit für die Teilnehmergesamtheit ergänzt wird (§ 28 IV i.V.m. § 7 I Nr. 3 sowie § 30 II Nrn. 1 und 2). Weitere Zulassungsvoraussetzung ist im Fall kommunaler und/oder Verlegerbeteiligung, daß die publizistisch-„ergänzenden“ und die Nutzer-Beiträge laut § 30 I Nr. 4 (mit NKL- und OK-Elementen) „in redaktioneller Unabhängigkeit“ erstellt werden (§ 30 III). Wie letzteres zu gewährleisten wäre, bleibt im näheren ungesagt. § 44 NdsLRG, der beim NKL bislang Redakteursstatute obligatorisch macht, kehrt in dem Entwurf nicht mehr wieder. Bestehen bleibt nur die Verweisung auf die (gleichfalls fortbestehende) allgemeine Grundnorm über Redakteursbeteiligung und journalistische Eigenverantwortung (jetzt § 28 IV i.V.m. § 18). Das ist besser als gar nichts. Es zeigt indes auch wieder: Die Probleme der Banalisierung und Vermachtung werden in Niedersachsen nicht bei den Hörnern gepackt, sie werden nur halbherzig angegangen.

9. Wer hier weiterkommen will, mag vor allem das nordrhein-westfälische sog. Zwei-Säulen-Modell studieren und als alternatives Konzept in Betracht ziehen. Nicht einmal dieses seiner Idee nach recht subtile und kräftige, institutionell weit höher entwickelte gemeinnützige Lokalfunkmodell hat es allerdings vermocht, redaktionelle Unabhängigkeit und Qualitätsorientierung in der Praxis wirklich zu sichern. Brauchen wir also noch mehr genuin öffentlich-rechtliche Prinzipien und Bausteine?

10. Das Düsseldorfer Zwei-Säulen-Modell krankt vor allem daran, daß es auf Verlegerbeteiligung i.V.m. Werbefinanzierung angewiesen bleibt. Letztere will man in Hannover jedenfalls vermeiden (§ 32 III) – m.E. in der Negation ein einleuchtender Ansatz. Was entspricht dem aber nun im Positiven? Da sieht es nicht so gut aus. Das Ganze steht und fällt damit, daß ein zu einem qualifizierten lokalen Programmauftrag passender, vom Gesetzgeber zu gewährleistender funktionsgerechter Finanzierungsmodus gefunden wird. Der Regierungsentwurf spricht nun – konzeptionell wenig schlüssig, implizit eher ratlos – von einer Finanzierung „aus dem Finanzaufkommen des Veranstalters, durch Spenden, durch ein angemessenes Finanzaufkommen aus dem Verbreitungsgebiet sowie durch Zuschüsse der Landesmedienanstalt“ (§ 32 I). Ob und wie das gedachte Aufkommen an Eigen- und Drittmitteln eigentlich zu erreichen wäre, bleibt dabei ungeklärt. Die Kommunen will man wohl nicht zuletzt als Ko-Finanziers gewinnen, desgleichen die Verleger, die dann sozusagen mäzenatisch tätig werden müßten. Nach bisherigen Erfahrungen ist dies allerdings wenig wahrscheinlich. Für eine funktionell angemessene Finanzierung müßte demnach in der Hauptsache die NLM mit ihren Zuschüssen sorgen. Offenbar setzt man diesbezüglich nach wie vor auf den sog. Kabelgroschen (§ 40 RStV) und hofft auf dessen permanente ungeschmälerte Fortexistenz und Nutzbarkeit für nichtkommerzielle Bürgermedien à la NKL/OK. Das indessen ist, wie mir scheint, eine ganz unzulängliche Auskunft. Für eine flächendeckende qualifizierte lokale Programmversorgung („Grundversorgung“) wird der Topf der NLM niemals ausreichen, und dergleichen wird in dem Entwurf denn auch gar nicht erst in Aussicht gestellt. Vielmehr gibt man sich im wesentlichen mit dem heutigen territorialen und leistungsmäßigen Istzustand zufrieden. Und bei Lichte besehen ist nicht einmal dieser finanziell gesichert.

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