A. Statement bei der Anhörung: BÜRGERMEDIEN WEITERENTWICKELN - Gesetzliche Verankerung des Regelbetriebs der Bürgermedien (OK/NKL) in Niedersachsen der Stiftung Leben und Umwelt am 30.11.2000 in Hannover

1. Im vierten Teil des Niedersächsischen Landesrundfunkgesetzes (NdsLRG) in der Neufassung von 1993 wird ein zweiteiliger „Betriebsversuch“ vorgeschrieben: einmal mit „nichtkommerziellem lokalem Hörfunk“ (NKL), zum andern mit „Offenen Kanälen“ (OK). Damit hat der Landesgesetzgeber im Bereich dessen, was heute zusammenfassend „Bürgermedien“ genannt wird, einen ersten, grundlegenden praktischen Schritt unternommen. Niedersachsen war damit etwas später dran als manche anderen Bundesländer, und das Land suchte nach einem eigenen Weg und wollte zu wirklichen Innovationen gelangen. In dem unklaren Nebeneinander von NKL und OK und in dem experimentellen Design scheint sich allerdings auch eine gewisse konzeptionelle Schwäche und Unsicherheit auszudrücken. Diese hoffte man wohl während der Versuchsphase verringern oder ganz überwinden zu können.

Im Frühjahr 2002 wird der fünfjährige Versuch nun enden, und Sie haben es jetzt mit der Frage zu tun, was man daraus lernen und wie man daraus ein für den Regelbe-trieb geeignetes Bürgerfunkmodell entwickeln kann. Die Antwort ist in den letzten Jahren gern in Richtung „Konvergenz“ von NKL und OK gesucht worden, etwa auf der Loccumer Tagung im März 1999 (dokumentiert in: Reinhard Behnisch u.a. (Hrsg.), Macht – Markt – Meinungsfreiheit. Bürgerfunk als dritte Säule in der Rundfunklandschaft? Loccum 1999) und besonders deutlich in dem am 17.2.2000 im Niedersächsischen Landtag (Plenarprotokoll 14/45, S. 4297 ff.) eingebrachten Entschließungsantrag der Grünen-Fraktion: Bürgermedien weiterentwickeln (Drucksache 14/1385). Diese integrative Idee hat aber, wie es scheint, noch nicht überall gezündet. Von der früheren Unsicherheit ist immer noch etwas zu spüren, und es wird besonderer Anstrengungen bedürfen, um darüber beizeiten hinwegzukommen. Zu den nunmehr sich abzeichnenden konzeptionellen Alternativen und Chancen möchte ich in gebotener Kürze ein paar nähere Bemerkungen machen.

2. Hinsichtlich des Offenen Kanals greift das NdsLRG auf ein altbekanntes, andernorts schon seit den achtziger Jahren praktiziertes Modell bürgerschaftlicher Direktbeteiligung am Rundfunk zurück. Seit den Tagen der „Expertengruppe Offener Kanal“ stand dabei ein medienpädagogisch ansetzender Public-Access-Gedanke im Vordergrund. Man dachte etwa an ein gesellschaftlich-urwüchsiges Marktmodell à la Hyde Park Corner, an ein Bürgermedium ungefähr nach dem Bilde von Straßen- und Alltagskommunikation. Ein „Programm“ sollte daraus nicht werden. Dem sollte u.a. das „Prinzip der Schlange“ vorbeugen. Man gab sich nicht produkt-, sondern prozeßorientiert, man sprach etwas schwärmerisch von „neuem kommunikativem Verhalten“ als Partizipationsziel. Auch die dafür nötigen „Kommunikationshelfer“ sollten nicht so weit intervenieren, daß der OK ein professionell-journalistisches Element hinzubekäme – letzteres wollte man gerade vermeiden.

Jene Abneigung gegen herkömmliche rundfunkspezifische Programm- und Veranstalterstrukturen hat das NdsLRG in seinen OK-Normen zum Teil übernommen. Den Gedanken der Zugangsoffenheit wendet es in der Zielbestimmung des § 37 Abs. 3 betontermaßen kompensatorisch und „alternativ“. Andererseits optiert es aber bereits für die Herstellung gewisser spartenmäßiger oder aktualpublizistischer Zusammenhänge (§ 47 Abs. 4 Satz 3) und rückt insoweit von dem Zufallsprinzip der „Schlange“ ab. Auf der so beschaffenen, eher kompromißhaften und wenig innovativen Rechtsgrundlage haben sich dann in Fernsehen und Hörfunk einige OK-Projekte entwickelt, welche nun vor der großen Frage stehen: Konvergenz – oder was sonst?

Die Konvergenzidee sollte nicht etwa dahin verstanden werden, daß der breite partizipatorische Ansatz nunmehr geschmälert oder ganz aufgegeben werden müßte – im Gegenteil: Er sollte nach Möglichkeit intensiviert und sozusagen von den Graswurzeln aus erneuert werden. So könnte er zu seinem Teil dazu beitragen, daß hier insgesamt etwas Neues und Attraktives entsteht. Dazu gehört auf der anderen Seite aber auch ein Bemühen um mehr programmliche lokaljournalistische Konsistenz und innere Festigkeit. Vergesellschaftung und Professionalisierung müßten bei dem künftigen Konstrukt zusammengehen, unter Anknüpfung an Standards des bisherigen Rundfunks. Das professionelle Element mag dabei mehr von der NKL-Seite kommen (dazu gleich), die OK-Seite müßte es aber wirklich akzeptieren, und sie müßte es sich von innen heraus anverwandeln. Mit einer lediglich äußeren, summativen Einheit wird es nicht getan sein. Die verschiedenen, ziemlich heterogenen derzeitigen Versuchsbestandteile sollten nicht einfach unter Gesichtspunkten wie dem der Besitzstandswahrung kombiniert und irgendwie zusammengewürfelt werden. Reale Chancen für eine auf die Versuchserfahrungen aufbauende Dauerlösung gibt es wohl nur dann, wenn aus OK- und NKL-Elementen sowie sonstigen medienrechtlichen Formprinzipien ein journalistisch leistungsfähiger und dabei bürgernaher veritabler Lokalrundfunk wird.

Falls eine derartige Integration nicht zustandekommt, könnten für den OK dunkle Wolken heraufziehen. Denn was tut sich auf diesem Gebiet unterdessen in anderen Bundesländern? In Berlin plädiert die CDU nach Presseberichten schon seit längerem für eine „Abwicklung“ der Offenen Kanäle. Zum Millenium machte nun ein Vorstoß des neuen medienpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Andreas Köhler, von sich reden, welcher mehr oder minder unverhohlen in dieselbe Richtung ging: Der OK sei „nicht mehr zeitgemäß“. „Wirklich bürgernah“ und bei den „Kids“ beliebt sei dagegen das Internet, auch als Fernsehmedium. Durch eine Schließung des OK könne – so meint man wohl in Berlin – im Kabel beispielsweise Raum für den Kirch-Konzern gewonnen werden, der dort mit seinem Nachrichtenkanal N 24 auf der Matte steht (vgl. epd medien 2000, Nr. 17, S. 13). – Nach einigen Protesten von anderer Seite rückte jener junge, bis dahin unbekannt gebliebene Politiker von seinen Äußerungen wieder ab (epd medien 2000, Nr. 25, S. 15 f.). Kürzlich wurde sein Anliegen jedoch in der nordrhein-westfälischen SPD wiederaufgegriffen, desgleichen in den Landesmedienanstalten, und damit scheint es für die Offenen Kanäle nun doch  bundesweit ernst zu werden:

Wolfgang Hahn-Cremer, Vorsitzender der Rundfunkkommission der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LfR) und ein Praktiker, der gewiß nicht der flotten „Generation Golf“ zuzurechnen ist, hielt es für angezeigt, den – in Berlin folgenlos ge-bliebenen – Disput über die Zukunft der Offenen Kanäle (die es in Nordrhein-Westfalen nur im Fernsehen gibt) wieder in Gang zu bringen. Er tat dies auf einem LfR-Forum am 2.11.2000 und ging dabei – für einen Sozialdemokraten immer noch ungewöhnlich – von den ökonomischen Nutzungsinteressen der neuen privaten Kabeleigner aus: Sie und auch manche anderen stellten die Frage, „ob dieses rare Gut nicht wirtschaftlicher ge-nutzt werden muß“. Darauf werde der Gesetzgeber eventuell bald reagieren. Überhaupt seien die älteren OK-Konzepte angesichts des medientechnischen und medienpolitischen Wandels heute „nur noch bedingt“ plausibel. Einige Offene Kanäle im Lande könnten demnächst vielleicht in ein werbefinanziertes Lokalfernsehen umgestaltet werden. Für andere empfehle sich – bei insoweit fortdauernder finanzieller LfR-Förderung – eine Entwicklung zu „Medienkompetenzzentren“ mit dezidierten Programmaufträgen und spartenmäßig unterschiedlichen Programmprofilen (Kinder, Schule, Universität, außeruniversitäre Weiterbildung, Internet) (vgl. epd medien 20000, Nr. 89, S. 16 f. Im Volltext ist die Rede Hahn-Cremers unter www.lfr.de zugänglich). – In ähnlicher Weise sprach auch Norbert Schneider, LfR-Direktor und derzeit Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), von einem „Legitimationsdefizit“ und aktuellen Reformbedarf beim OK (vgl. ebenda). Auch die Gesamtkonferenz der Landesmedienanstalten stieß dann am 15.11.2000 in einem Diskussionspapier zur Reform der Medienordnung (abgedruckt epd medien 2000, Nr. 94, S. 22 ff.) in dasselbe Horn, und da war nun wohl auch die Niedersächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk (NLM) dabei: Angesichts der kommunikationstechnischen und nutzerspezifischen Veränderungen erscheine eine Überprüfung von Strukturen und Zielen der Offenen Kanäle/Bürgermedien geboten (unter B.III.7.). Auch dabei wird anscheinend an programmlich verdichtete und spezialisierte Formate gedacht, welche unter die Rubrik „Medienkompetenz“ fallen sollen. Ob dabei noch an die älteren medienpädagogischen Motivationen angeknüpft werden könnte, steht dahin. Jedenfalls ist das nun doch wohl ein Ende der Bequemlichkeit. Wer nicht „abgewickelt“ bzw. durchkommerzialisiert werden will, wird sich hiernach schleunigst um ein bildungsspezifisches Spartenprofil kümmern und entsprechende Allianzen schmieden müssen.

3. In Niedersachsen hat der OK allerdings noch eine dritte Option, nämlich die der Konvergenz und Kohabitation mit dem nichtkommerziellen lokalen Hörfunk und der gemeinsamen Weiterentwicklung zu einem echten Lokalrundfunk. (In Nordrhein-Westfalen ist dieser Weg für den dortigen TV-OK nicht gangbar. Dort wird Ballungsraumfernsehen bzw. Lokal-TV von vornherein kommerziell konzipiert, und im Hörfunk ist das – unglücklicherweise ebenfalls werbefinanzierte – Lokalradio nach dem Zwei-Säulen-Modell, inklusive Bürgerfunk, bereits flächendeckend vorhanden.) Und die besondere niedersächsische lokaljournalistische Option ist so interessant, daß sie m.E. den Vorzug verdient. Denn dies ist doch wohl eine unwiederbringliche Chance, und es ist zu wünschen, daß sie überall – auch von NKL, NLM, Staatskanzlei und Landtag – als solche gewürdigt und energisch genutzt wird. Manch einer wird dabei über seinen Schatten springen müssen. Wenn die Synthese wirklich gelingt und das Ganze vorankommt, werden dabei aber gerade auch die NKL-Komponenten beteiligt sein, und sie werden an Gewicht noch gewinnen.

Bezüglich des NKL ist der vierte Abschnitt des NdsLRG deutlich origineller und innovativer gefaßt als bezüglich des OK. Mit gewissen Veränderungen wird demnächst allerdings auch die NKL-Philosophie zu rechnen haben, etwa soweit sie noch relativ „wilde“ Züge aufweist und den NKL in der Nachfolge der Freien Radios und sog. Piratensender sieht. Die jetzt erforderliche weitere zivilgesellschaftliche Qualifizierung und auch Professionalisierung mag zunächst unbequem erscheinen. Im Ergebnis wird man davon aber allerseits Vorteile haben. Näheres dazu habe ich in meinem Loccumer Referat vom März 1999 (in: Macht – Markt – Meinungsfreiheit, S. 39 ff.) ausgeführt. Darauf möchte ich hier verweisen und mich auf ein paar Stichworte beschränken:

Von entscheidender Bedeutung ist die Aufgabe auch des Lokalfunks als „Medium und Faktor“ öffentlicher Kommunikation und freier Meinungsbildung i.S. der Verfassungsrechtsprechung. Sie verlangt ein erhebliches Maß an innerer Vielfalt und sonstiger, an öffentlich-rechtlichen Standards orientierter Programmqualität, wie sie heute bereits in der unauffälligen Verweisungsnorm des § 42 Abs. 2 NdsLRG angelegt ist. Beibehalten und weiter ausgebaut werden sollte auch die Garantie innerer Rundfunkfreiheit laut § 44 NdsLRG, als ein modernes Instrument programmlicher Qualitätssicherung verstanden. Zugleich wird man darauf achten müssen, daß die Lokalsender im gesellschaftlichen Humus verwurzelt bleiben und daß die nötige Bürgernähe erreicht und organisatorisch und verfahrensmäßig abgesichert wird.

4. Essentiell ist im übrigen ein zu einem derart anspruchsvollen Funktionsauftrag passender, vom Gesetzgeber zu gewährleistender funktionsgerechter Finanzierungsmodus. Auch dazu habe ich in Loccum Überlegungen vorgetragen welche sich noch nicht erledigt haben. Wie die Landtagsdebatte vom Februar ds.J. vermuten läßt, wird die ganze Größe dieser Herausforderung noch nicht überall gesehen. Auf den heutigen sog. Kabelgroschen (§ 40 RStV) zu verweisen und auf dessen permanente ungeschmälerte Fortexistenz und Nutzbarkeit für nichtkommerzielle Bürgermedien à la NKL/OK zu setzen, wäre sicherlich eine unzureichende Auskunft. In die grundsätzlichen, jüngst auch von den Landesmedienanstalten aufgenommenen gemeinsamen Reformerwägungen über Bürgermedien sollte auch die Frage einbezogen werden, wie man hier zu einer auf Dauer gestellten funktionell adäquaten Grundfinanzierung als Gebührenfinanzierung gelangen könnte. Das ist eine schwierige rechtspolitische Frage, welche durchaus auch die Ländergesamtheit etwas angeht. Oft sind im Kreise der Ministerpräsidenten Klagen über ein Übermaß von privatem Schmuddel-TV, Lachprogrammen, Emotainment, Unterhaltungsgewalt usw. zu hören, man konstatiert einen Rückgang qualifizierter Informationssendungen und malt den baldigen allgemeinen „Race to the Bottom“ an die Wand. Wenn man nun im politischen Raum über bloße Lippenbekenntnisse zur Qualitätsförderung hinauskommen will, wird man sich auch mit den Bürgermedien und ihrer dauerhaften, nach Möglichkeit flächendeckenden Einführung und Finanzierung ernstlich befassen müssen, bis zur Schaffung geeigneter neuer staatsvertraglicher Grundlagen hin.

Eventuell läßt sich dies leichter an, wenn man sich in Niedersachsen (und in anderen Ländern mit NKL-Bausteinen) einmal gründlicher mit der Frage beschäftigt, ob als Hilfslösung und Ultima Ratio auch ein legislatorischer Alleingang in Frage kommt, nämlich eine eigene landesgesetzliche Finanzierungsregelung als Rechtsgrundlage für einen „Lokalfunkgroschen“ mit Gebührencharakter o.ä. Genauerer Überlegung bedarf auch, ob und ggf. in welcher Weise die Kommunen in die finanzielle und sonstige Verantwortung für die Bürgermedien gesetzlich einzubeziehen wären. Es sei aber auch noch einmal betont:

Primär muß in alledem das Bemühen um ein überzeugendes integriertes publizistisches Konzept (NKL/OK) sein. Wenn es dabei Fortschritte gibt, wird man auch in der Finanzierungsfrage leichter vorankommen können. Man sollte sich an den publizistischen Kernfragen also nicht vorbeimogeln und sich kurzerhand darauf einigen, beim Status quo zu bleiben – um so schneller würde man sich dann in Konflikte um das liebe Geld verwickeln. Wenn man sich aber einmal richtig in Verteilungskonflikte verbissen hat, wird es um die Weiterentwicklung der Bürgermedien bald geschehen sein. Was dazu erst einmal nötig wäre, ist eine große Vision – und wo gibt es die eigentlich? 

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